Das Lied der Cheyenne
verborgen und waren von einem mannshohen Palisadenzaun umgeben. Aus einigen Schornsteinen kräuselte Rauch. Auf dem Plankengang neben dem großen Eingangstor stand ein rothaariger Riese und bekam große Augen, als er die Indianerin entdeckte. »He«, rief er mit seiner dröhnenden Bassstimme, »ich will verdammt sein, wenn das keine Indianerbraut ist!« Er lachte schallend. »Wird höchste Zeit, dass ich mal wieder was vor die Flinte bekomme!«
»Da hast du’s!«, sagte Zeb zu dem Franzosen. »Bloody reißt dir die Kleine aus den Armen, darauf kannst du dich verlassen! Du hast keine Chance gegen den verdammten Riesen!«
»Er wird mich schon nicht umbringen.«
Zeb war anderer Meinung, sagte aber nichts. Er war ein Mann, der Kummer aus dem Weg ging, und war immer gut damit gefahren. Frauen bedeuteten Ärger. Das wusste er seit jenem denkwürdigen Tag, als er die Tochter eines entfernten Onkels geschwängert hatte und gerade noch rechtzeitig nach Westen entkommen war. Mit Weibern hatte er nichts im Sinn.
Büffelfrau unterdrückte nur mühsam ihr Erstaunen. Diese weißen Männer bauten feste Dörfer, das musste sie zugeben. Der Zaun schützte sie vor Angreifern, und die Hütten machten einen noch sichereren Eindruck als die Behausungen der Shar-ha. Als sie sich dem Dorf näherten, entdeckte sie sogar Löcher in den Wänden, die frische Luft hereinließen. Die hatte es bei den Shar-ha nicht gegeben. Vor einer Hütte stand ein rollendes Tipi und wurde von zwei jungen Männern mit Pelzen beladen.
Bloody Leggins kam ihnen durch das offene Tor entgegen und baute sich breitbeinig vor ihnen auf, die Hawken Rifle lässig in der Armbeuge. Er hatte das blasseste Gesicht, das Büffelfrau jemals gesehen hatte, und seine Haare waren so rot wie Feuer und wucherten wie wilde Kräuter unter seiner Wollmütze hervor. Auch er trug speckige Wildlederkleidung. Er bekam rote Flecken im Gesicht, als er Büffelfrau anschaute, und seine grünen Augen blitzten gierig. »Komm her!«, sagte er zu ihr. Er unterstrich mit einer Handbewegung, was er meinte.
Büffelfrau spürte die Gefahr, die von dem rothaarigen Mann ausging, und überlegte, welche Chance sie gegen ihn besaß. Wenn sie ihn töten wollte, musste sie schnell sein. Alles musste in einer fließenden Bewegung geschehen, der Griff nach dem Pfeil, der schrille Kriegsruf, der ihr Pony aus seiner Schussrichtung brachte, und das Spannen der Sehne, die den tödlichen Pfeil in seine Brust oder in seinen Hals jagen würde.
Bloody richtete seine Flinte auf sie. »Steig ab und komm her!«, befahl er, und wieder verdeutlichte er seine Worte durch eine heftige Handbewegung. »Ab heute bist du meine Frau!«
»Lass den Scheiß!«, versuchte Jean, ihn zu beruhigen.
»Dich hab’ ich nicht gefragt«, erwiderte Bloody barsch. Er ging ein paar Schritte auf die Indianerin zu und freute sich schon jetzt auf den Augenblick, wenn sie hilflos unter seinem schweren Körper zappelte. Ha, er würde es dem verdammten Indianerweib ordentlich besorgen, und wenn er genug von ihr hatte, würde er sie an den nächsten Händler verkaufen.
Büffelfrau wusste, dass sie zu lange gewartet hatte. Sie musste dem rothaarigen Mann gehorchen, wenn sie nicht sterben wollte. Widerwillig stieg sie aus dem Sattel. Sie empfand eine tiefe Abscheu gegenüber dem blassen Mann und schwor, ihn bei nächster Gelegenheit zu töten. Der rote Skalp würde an einer Stange vor ihrem Tipi hängen und jedem verraten, dass sie den blassen Mann mit den roten Haaren getötet hatte.
Der Mann wollte nach ihr greifen, ließ die Büchse sinken und streckte die freie Hand nach ihr aus, als ein scharfer Befehl aus dem Dorf drang und ihn erstarren ließ.
»Rühr sie nicht an!«, rief der Mann mit den blauen Augen, den sie in ihren Träumen gesehen hatte. »Das ist eine Cheyenne! Oder willst du den ganzen Stamm auf uns hetzen?«
»Was geht dich das an?«
»Ihr habt mich zum Anführer gewählt.«
»Dann wählen wir dich eben wieder ab.«
»Lass sie in Ruhe und geh auf deinen Posten! Wenn ich dich bei dem Mädchen sehe, knalle ich dich ab, verstanden?«
Der Mann mit den roten Haaren verzog sich fluchend und kehrte auf den Palisadengang zurück. Büffelfrau blickte ihm nicht nach und beobachtete erstaunt, wie der Mann aus ihren Träumen eine Hand zum Gruß hob und die Zeichen der Prärievölker benutzte.
»Du bist gekommen«, sagte er.
31
Blaue Augen
Joshua Freeman war dreißig Jahre alt. Er war ein hagerer Mann mit einem wettergegerbten
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