Das Lied der Dunkelheit
Fingerknöchel blutig bissen und beteten, ihre Siegel mögen standhalten. Er hörte Weinen und dachte daran, wie sehr die Milneser auf ihre Stadtmauer angewiesen waren.
Als sie den Schauplatz erreichten, herrschte dort das totale Chaos. Wachposten und Bannzeichner lagen tot oder sterbend auf dem Straßenpflaster, überall fanden sich zersplitterte und brennende Speere. Drei blutüberströmte Bewaffnete kämpften mit einem Winddämon; sie versuchten, ihn so lange festzuhalten, bis zwei Lehrlinge eines Bannzeichners ihn in einem tragbaren Zirkel einfangen konnten. Leute mit Wassereimern rannten hin und her, um die vielen kleinen Feuer zu löschen, während außer Rand und Band geratene Flammendämonen ungestüm herumtanzten und alles in ihrer Nähe in Brand steckten.
Arlen betrachtete die Bresche und wunderte sich, dass ein Horcling sich durch zwanzig Fuß dicken massiven Fels graben konnte. Dämonen verstopften das Loch und attackierten sich gegenseitig mit Klauen und Zähnen, begierig, in die Stadt hineinzukommen.
Ein Winddämon zwängte sich hindurch, nahm Anlauf und spreizte die Schwingen. Ein Wachposten schleuderte seinen Speer nach ihm, doch er zielte zu kurz und der Dämon flog ungehindert ins Zentrum der Stadt. Im nächsten Moment sprang ein Flammendämon den nun unbewaffneten Wächter an und biss ihm die Kehle durch.
»Schnell, Arlen!«, brüllte Cob. »Die Wachen schinden Zeit für uns heraus, aber gegen eine so große Lücke können sie nicht lange standhalten. Wir müssen sie schleunigst versiegeln!« Mit verblüffender Gewandtheit sprang er vom Karren, schnappte sich zwei tragbare Zirkel und warf einen dem Jungen zu.
Begleitet von Ragen, der neben ihnen herritt und ihnen Deckung gab, sprinteten sie zur Flagge der Bannzeichner, auf der das Schlüsselzeichen prangte, und die den Schutzzirkel markierte, in dem die Bannzeichner ihre Basis aufgeschlagen hatten.
Unbewaffnete Kräutersammlerinnen behandelten Verwundete und verließen immer wieder furchtlos den Zirkel, um Männern zu helfen, die auf die Zuflucht zutaumelten. Nur eine Handvoll Kräutersammlerinnen musste sich um Scharen von Verwundeten kümmern.
Mutter Jone, die Beraterin des Herzogs, und Meister Vincin, das Oberhaupt der Bannzeichnergilde, begrüßten sie. »Meister Cob, wie gut, dass du gekommen bist …«, setzte Jone an.
»Wo werden wir gebraucht?«, wandte sich Cob an Vincin, ohne Jone weiter zu beachten.
»An der Hauptbresche«, antwortete Vincin. »Nehmt die Pfosten für fünfzehn und dreißig Grad«, bestimmte er mit einer Geste zu einem Stapel Siegelpfosten. »Beim Schöpfer, seid vorsichtig! Ein Felsendämon wütet dort wie der Teufel - er hat die Lücke in die Mauer gerissen. Sie haben ihn in die Enge getrieben, damit er nicht tiefer in die Stadt eindringen kann, aber ihr müsst die Siegelschranke überqueren, um an die richtige Position zu gelangen. Die Bestie hat schon drei Bannzeichner getötet, und nur der Schöpfer weiß, wie viele Wächter.«
Cob nickte und steuerte zusammen mit Arlen auf den Stapel Pfosten zu. »Wer hatte heute während der Abenddämmerung Dienst?«, erkundigte er sich, als sie ihre Last aufhoben.
»Bannzeichner Macks und seine Lehrlinge«, erwiderte Jone. »Für dieses Versäumnis wird der Herzog sie hängen lassen.«
»Dann ist der Herzog ein Narr«, entgegnete Vincin. »Wir haben keine Ahnung, was da draußen passiert ist, und Miln kann auf keinen einzigen Bannzeichner verzichten.« Er blies den Atem aus. »Ehe die Nacht zu Ende ist, werden ohnehin nur noch wenige am Leben sein.«
»Zuerst legst du deinen Zirkel aus«, belehrte Cob ihn zum dritten Mal. »Wenn du dich sicher in dessen Zentrum befindest, steckst du den Pfosten in die Halterung und wartest, bis das Magnesium abbrennt. Es gibt eine sehr grelle Stichflamme, deshalb musst du deine Augen schützen. Danach richtest du deinen Pfosten nach der Skala des Hauptpfostens aus. Versuche nicht, eine Verbindung mit den anderen Pfosten herzustellen. Vertraue darauf, dass die anderen Bannzeichner ihre Arbeit verstehen. Wenn du fertig bist, treibst du Pflöcke zwischen die Pflastersteine, damit der Pfosten nicht verrücken kann.«
»Und was mache ich dann?«, fragte Arlen.
»Du bleibst in dem verdammten Zirkel, bis man dir sagt, dass du ihn verlassen darfst«, bellte Cob, »egal, was du siehst, selbst wenn du die ganze Nacht lang am selben Fleck ausharren musst. Ist das klar?«
Arlen nickte.
»Gut«, brummte Cob. Gespannt beobachtete er das Chaos,
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