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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nur den ganzen Haushalt versorgen, sondern auch die Pflege von Mutter Vonnegut übernehmen müssen.
    Zwischendurch hatte sie Todesängste ausgestanden, denn ein paar Pommeraner hatten sich vor dem Haus zusammengerottet, die Fenster mit Kieseln beworfen und lautstark nach Abraham verlangt. Gottlob war nichts passiert, denn Hannes, Jakob, Claus und Amandus, die
Burschen
der Witwe, waren hinausgelaufen und hatten es verstanden, die Wogen zu glätten, indem sie die Kerle auf ein Glas in den
Braunen Hirschen,
ihre derzeitige Lieblingswirtschaft, einluden.
    »Ist etwas mit meinem Mann?«, fragte Alena.
    »Nein, nein, macht Euch man keine Sorgen, das heißt …«
    »Ja?« Alenas Herz begann heftig zu klopfen.
    »Macht Euch keine Sorgen.« Hasselbrinck, der ohnehin nicht unbedingt ein Mann der flüssigen Rede war, suchte nach Worten. »Ich meine, es geht ihm gut. Die Sache auf dem Fechtboden hat er ja heil überstanden, wenn bloß nicht dieser von Zwickow dabei draufgegangen wäre. Die meisten sagen, es wär nicht schade um ihn, andere behaupten das Gegenteil, na, es nützt ja nichts, tot ist er trotzdem.«
    »Ja, ja, sicher, ich habe auch schon davon gehört. Ist Abraham denn noch auf freiem Fuß? Ich meine, da war am Samstag ein
Secrétaire
der Georgia Augusta hier, ein Mensch namens Fockele …«
    »Ja, ja, den kenn ich, der war auch bei mir im Hospiz. Mit ’ner Arrest-Anordnung für den Herrn Doktor, und vorhin musste er zum Runde, ich meine, zu dem Herrn Prorektor, zum Rapport.«
    »Um Gottes willen, und was ist dabei herausgekommen?«
    »Weiß ich nicht, weiß ich leider nicht, Frau Abraham.« Hasselbrinck nahm schlürfend einen großen Schluck. »Aber eines weiß ich: Der Herr Doktor hat gerade ’ne schwere Zeit, ’ne sehr schwere Zeit. Zwei von seinen Bergleuten sind tot, und das nimmt ihn furchtbar mit. Na, wenigstens der dritte Mann, der Pentzlin, ist wieder wach.«
    »Muss Abraham denn ins Gefängnis?« Alena merkte, wie sie am ganzen Körper zu zittern begann.
    »Vielleicht ja, vielleicht nein. Wenn er Glück hat, ist er jetzt schon wieder im Hospiz. Wir glauben ja alle an seine Unschuld, meine Frau und die alte Grünwald und …«
    »Ich muss unbedingt zu ihm!«
    »Ich hab gehofft, dass Ihr das sagen würdet, Frau Abraham. Wollt Ihr gleich mitkommen? Ich mach mich jetzt auf die Socken. Danke für den Kaffee.« Hasselbrinck stand mit knackenden Gelenken auf. »Wenn es noch ’ne Gerechtigkeit gibt, dann ist er da.«
    Alena schüttelte den Kopf. »Ich weiß Eure Freundlichkeit zu schätzen, Hasselbrinck, aber ich kann jetzt noch nicht. Pünktlich um sieben gibt es in diesem Haus das Abendessen, und eher fallen Ostern und Weihnachten auf einen Tag, als dass sich daran jemals etwas ändern würde. Nein, nein, ich muss mich noch um einiges kümmern, geht nur schon vor.« Alena zögerte einen kurzen Moment und fügte dann hinzu. »Und grüßt mir Abraham, wenn Ihr ihn seht. Ich wäre auf dem Weg zu ihm.«
    »Ist recht, Frau Abraham. Nochmals meinen Dank für den Kaffee, ich finde allein raus.«
     
     
    Abraham wälzte sich auf seinem Dielenlager hin und her. Seine Absicht, noch ein wenig zu schlafen, stellte sich als undurchführbar heraus. Für einen Moment fiel sein Blick auf Pentzlin, der tief und fest in seinem Bett schlummerte, und der Gedanke keimte in ihm, selbst ein Sedativ zu nehmen. Doch das kam auf keinen Fall in Frage. Die Wirkung der Cannabis-Pflanze trat zwar jedes Mal sicher ein, doch wie lange sie anhielt, hing von vielerlei Faktoren ab, und Abraham wollte auf keinen Fall im Schlaf von den zu erwartenden Ereignissen überrascht werden.
    Seine Gedanken wanderten zurück zu Heinrichs Besuch. Er war bei Alena gewesen und hatte versichert, sie liebe ihn immer noch. Er hätte es in ihrem Gesicht gelesen.
    Abraham erhob sich. Er war drauf und dran, zur Güldenstraße zu gehen, doch dann pfiff er sich zurück. Es musste schon gegen sechs Uhr sein, und zu diesem Zeitpunkt des Tages herrschte im Haus der Zimmerwirtin stets betriebsame Geschäftigkeit. Das Abendessen musste rechtzeitig fertig werden, und die hungrigen
Burschen
lungerten meist schon in der Küche herum, um den einen oder anderen Bissen vorab zu ergattern. In diesen Trubel wollte Abraham nicht geraten. Wenn er mit Alena sprach, wollte er allein mit ihr sein. Vielleicht oben im Puppenzimmer, dann könnten seine Lieblinge dabei sein, wenn alles wieder gut würde. Vielleicht …
    Ein kräftiges Klopfen unterbrach seine Gedanken. Unten vor der

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