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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Großen. Etwas entfernt saßen die Magd, der Schultheiß und das Burgfräulein. Der Landmann schnarchte.
    Friedrich nieste krachend. »Was ich beniese, wird gut! Notfalls führe ich auch hier die Kaffeesteuer ein!«
    »Die gibt es schon, Majestät!«, wandte der Schultheiß ein.
    »Dann besteuere ich eben die Luft, jeder, der atmet, muss blechen.«
    »Halten zu Gnaden, Majestät, aber dann müsstet Ihr selbst auch Steuern zahlen.«
    »
Absurdité!
Niemals! Lieber besteuere ich Fürze.«
    »Aber auch Ihr, Majestät, müsst ab und zu …«
    »
Kanaille,
Rathausratte, Amtsaffe! Ich muss gar nichts. Ich habe in Preußen Kaffee-Riecher losgeschickt, um den Schwarzröster vom braven Mann zu
distinguiren,
ich werde hier
Flatus-
Experten ausschwärmen lassen, um festzustellen, aus welchem Haushalt
Odeur
quillt.«
    Der Schiffer begann dröhnend zu singen: »Winde weh’n, Schiffe geh’n …«
    »Ich kann zaubern, Fritz!«, brüllte der Söldner. »Ich kann machen, dass Luft riecht! Soll ich?«
    »Impertinent!«,
empörte sich das Burgfräulein.
    »
Silentium,
alte Dörrpflaume!«, krächzte Friedrich. »Ich werde reich, stinkreich, und allen Mammon gebe ich Abraham!
Pecunia non olet,
wie mein alter Kollege Augustus schon zu sagen pflegte.«
    Alenas Augen lächelten traurig. »Du bist und bleibst unverbesserlich, Abraham. Ich weiß wirklich nicht, woher du deinen Optimismus nimmst.«
    Abraham lächelte. »Denk an deine Zweifel vor drei Jahren, als wir auf der Burg Plesse waren. Du glaubtest nicht daran, dass wir jemals heiraten könnten, und ich sagte zu dir: ›Irgendwie schaffen wir es schon. Wir müssen nur daran glauben‹, und was passierte? Pausback und Listig erschienen auf der Bildfläche, wir bekamen neue Papiere und konnten heiraten.«
    »Ja, es war wie ein kleines Wunder, aber Wunder wiederholen sich nicht. Ich gehe jetzt wieder hinunter zu Mutter Vonnegut und sage ihr, dass sie ihr Geld rechtzeitig bekommt.«
    »Tu das, Liebste.« Abraham wandte sich wieder seiner Dissertation zu und übersetzte weiter:
    Quare autem facta hac effigie visus perceptio oriatur, aeque obscurum nobis est, quam forte
EUKLIDI
aut
PTOLOMAEO
, einanationis ex oculo systema amplectentibus, vera et ultima caussa fuerit …
     
     
    Hansi war ein fröhlicher Geselle. Er lebte tief unten in der Erde und sang trotzdem den ganzen Tag. Hansi war ein Kanarienvogel, der dem Hauer Pentzlin gehörte. Pentzlins Arbeitsplatz war die Grube im Harzer Städtchen Bad Grund, wo er das Erz mit Schlägel und Meißel brach; sein Kollege Burck war Schlepper und bewegte den Wagen mit dem Fördergut; der Dritte im Bunde hieß Gottwald und war ebenfalls Hauer.
    Hansi tschilpte und tirilierte an diesem Morgen, dass es eine Lust war. Die drei Männer schätzten ihn sehr, nicht nur, weil er so schön sang, sondern auch – und das war weitaus wichtiger –, weil er ein Melder war. Einer von vielen, die vor dem gefährlichen, geruchlosen Grubengas warnten. Wenn die Vögel verstummten und starben, so wusste jeder Bergmann, war das ein sicheres Zeichen für das Vorhandensein von Gas.
    Natürlich musste Hansi in seinem Käfig manchmal auch trinken oder ein paar Körner aufpicken, was ebenfalls eine Unterbrechung seines Gesangs zur Folge hatte, aber die Männer wussten das und waren nicht weiter beunruhigt. Nur wenn das Tirilieren längere Zeit aussetzte, bestand Anlass, dem nachzugehen.
    So war es auch jetzt.
    »Ich will mal nach Hansi gucken«, sagte Burck, der Schlepper. Er war zwar sehr stark, aber auch recht ungeschickt, weshalb er im Umdrehen die Grubenlampe umriss. Die Lampe fiel, die Flamme kam an die Luft, und augenblicklich entstand ein schlagendes Wetter. Die Explosion war so stark, dass sie den gesamten Grubenausbau zerstörte. Unter ohrenbetäubendem Getöse fielen große Gesteinsmassen herab und begruben die drei Männer unter sich. Dann, übergangslos, herrschte gespenstische Stille. Kein Lebenszeichen war mehr zu hören.
    Flessner, der Steiger, war einer der Ersten, die am Unglücksort eintrafen. Unter größter Vorsicht entzündete er mehr Licht. Was er sah, gab wenig Raum für Hoffnung: Steine, Trümmer und kaputtes Werkzeug, nichts als tote Materie bot sich seinen Blicken dar. Er formte die Hände zu einem Trichter und rief die Namen der Vermissten, immer wieder, doch er bekam keine Antwort. Andere Helfer trafen ein, riefen ebenfalls, hämmerten auf die Felsen ein, lauschten angestrengt, suchten nach Spuren, nach Hinweisen, aber auch sie hatten

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