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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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drei Prinzen lachten. Ernst August, der älteste, sogar so sehr, dass er sich am Rauch seiner Tonpfeife verschluckte. Dann, unvermittelt, sog er am Stiel und stieß den inhalierten Rauch zu beiden Ohren hinaus, ein Kunststück, das niemanden zu beeindrucken schien. Niemanden außer Heinrich.
    Lichtenberg ergriff wieder das Wort: »Ja, mein lieber von Zettritz, manches im Leben ist leichter, als es auf den ersten Blick erscheint. Oder anders ausgedrückt: Es wird viel zu viel Aufhebens um Dinge gemacht, die leicht erklärlich sind. Ich zum Beispiel habe vor den Augen meiner Studenten schon mit heißer Luft gefüllte Schweinsblasen an die Decke meiner Wohnung segeln lassen, lange bevor die Gebrüder Montgolfier ihren Heißluftballon in Paris aufsteigen ließen. Aber das nur nebenbei. Insgesamt ist die Wissenschaft mit ihren Erkenntnissen nicht aufzuhalten.«
    »Sicher, Herr Professor.« Heinrich lächelte etwas mühsam. Er ärgerte sich, dass er nicht auf die Lösung gekommen war.
    Lichtenberg seufzte. Und während er mit den Augen die junge, stramme Schankmagd verfolgte, die am Nebentisch Bier abstellte, fügte er an: »Ebenso wenig wie das drohende Alter und die damit verbundenen Zipperlein aufzuhalten sind. Wir alle werden älter, und der Zahn der Zeit nagt an uns, und an mir besonders.«
    Die drei englischen Prinzen grinsten. Sie kannten Lichtenberg gut genug, um zu wissen, dass er bei einem seiner Lieblingsthemen angekommen war – seinen vielen eingebildeten Krankheiten. Heinrich jedoch war ahnungslos, deshalb fragte er höflich: »Ich hoffe, es ist nichts Bedenkliches?«
    »Oh, wer will das wissen angesichts der zahllosen Beschwerden, die meinen Körper quälen! Irgendeine hinterhältige
inflammatio
wird schon dabei sein.« Lichtenberg blickte mit komischer Verzweiflung zu den rauchgeschwärzten Deckenbalken empor, und niemand hätte zu sagen gewusst, wie ernst sein Ausruf zu nehmen war.
    »Ihr solltet die entzündlichen Herde einem guten Arzt anvertrauen, Herr Professor.«
    »Aber wem denn, tausendsackerment! Soll ich zu einem meiner Professorenkollegen gehen und ihm die Ohren vollstöhnen? Nichts lieber als das würden diese, diese … äh, geschätzten Mitstreiter hören! Nein, nein, das kommt überhaupt nicht in Frage. Lichtenberg bleibt Lichtenberg!«
    Heinrich wusste darauf nichts zu sagen. Er bestellte einen neuen Wein bei Elsie, und dann kam ihm eine Idee. »Ich habe einen Kommilitonen, Herr Professor, der als ein sehr tüchtiger Mediziner gilt. Er ist zwar noch ein
Philistrant
und nicht promoviert, aber ich glaube, Professor Richter hält große Stücke auf ihn. Er ist schon heute ein wahrer Gelehrter.«
    Lichtenberg unterdrückte ein Aufstoßen. »Was Ihr nicht sagt. Im Wort ›Gelehrter‹ steckt nur der Begriff, dass man ihn vieles gelehrt, aber nicht, dass er auch vieles gelernt hat.«
    Heinrich runzelte die Stirn. Er wollte einerseits höflich sein, andererseits aber nicht die Zweifel an Abrahams Fähigkeiten im Raume stehen lassen, deshalb sagte er: »Ich bin überzeugt, dass mein Kommilitone Julius Abraham Euch in dieser oder jener Hinsicht helfen könnte.«
    Ernst August schaltete sich ein: »Herr Professor, das ist dieser, äh, wie sagt man?
Puppet player?
«
    Heinrich ergänzte: »Er ist nicht nur Puppenspieler, sondern auch Ventriloquist, und ein besonders guter dazu.«
    »Ach der.« Lichtenberg schien nachzudenken. »Ist das nicht der, der schon so alt ist, dass er seinen eigenen Professor gezeugt haben könnte?«
    »So alt ist er nicht, er ist zweiundfünfzig.«
    »Ihr scheint ihn gut zu kennen?« Lichtenbergs Augen blickten wachsam.
    »So gut nun auch wieder nicht«, sagte Heinrich hastig. »Wir sind uns nur ein paarmal begegnet.«
    »Und dennoch wisst Ihr um die besonderen Fähigkeiten dieses
Studiosus?
«
    Ehe Heinrich klein beigeben musste, winkte Lichtenberg ab und gleich darauf der hübschen Kellnerin, um neuen Wein zu ordern.
    Heinrich war froh, dass der scharfzüngige Professor nicht weiter insistierte, doch gleich darauf sagte dieser: »Mir ist ein ungewöhnlicher Mann tausendmal lieber als einer, bei dem mit jedem Wort die Langeweile aus dem Mund hervorquillt. Alter schützt vor Torheit nicht, aber ich kenne viel mehr junge Toren als alte.«
    »Jawohl, Herr Professor.«
    »Ihr könnt mich bei Gelegenheit mit Abraham bekannt machen.«
    »Gern, Herr Professor. Und wo, wenn ich fragen darf?«
    »Wo? Na, hier natürlich.«
     
     
    Zwei Tage später gelang es Abraham, rechtzeitig

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