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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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lassen. Ein gewisser Freund, den ich kannte, pflegte seinen Leib in drei Etagen zu teilen, den Kopf, die Brust und den Unterleib, und er wünschte öfter, dass sich die Hausleute der obersten und der untersten Etage besser vertragen könnten.« Lichtenberg unterbrach sich, grinste kurz über sein Bonmot, und fuhr dann fort: »Bei meinen drei Etagen, so fürchte ich, verträgt sich nichts miteinander, jede Einzelne ist des anderen Feind. Wie viele Arzneien wird mein gemarterter Körper noch aushalten müssen?«
    »Gar keine, Herr Professor.«
    Abraham holte tief Luft. Er hatte sich entschlossen, die Verschreibungswut seiner Ärztekollegen nicht mitzumachen. Es war zwar noch immer die einfachste Methode, einem Kranken mit diffusem Krankheitsbild irgendetwas zu verschreiben – vielleicht ein
Aqua vitae
 – und ihn dann fortzuschicken, doch von derlei Therapien hielt er nichts.
    »Gar keine, Herr Professor«, wiederholte er. »Vertraut auf die Selbstheilungskräfte Eures Körpers, und lasst die Medikamente ein paar Tage weg. Nehmt leichte Kost zu Euch und geht öfter auf dem Wall spazieren. Die frische Luft wird Euch guttun.«
    »Was, das soll Euer Rat sein?« Lichtenbergs Gesicht zeigte Staunen und einen Anflug von Ärger. »Ich soll nicht nur nicht mehr Medikamente nehmen, sondern gleich gar keine? Wollt Ihr mich töten, Mann?«
    »Keineswegs, genießt die Abende – und die Nächte.«
    »Die Nächte? Meint Ihr etwa, ich soll meine hinreichend bekannte Vorliebe für das schöne Geschlecht, äh, stärker ausleben?« Lichtenberg blickte Abraham an und sah dann hinüber zu Heinrich, der allerdings wegschaute. »Ihr seid sehr offen, Abraham!«
    »Ich bin Arzt, Herr Professor. Zwischen Arzt und Patienten soll immer Gelegenheit für ein offenes, gut gemeintes Wort sein. Die Liebe zu einer Frau verjüngt den Körper, man fühlt sich, als könne man Bäume ausreißen – und vergisst darüber sämtliche Arzneien dieser Welt. Und vielleicht sogar das eine oder andere Zipperlein.« Abraham dachte an Alena, die ihm in der Vergangenheit so oft dieses Hochgefühl vermittelt hatte, und für einen Moment durchströmte ihn tiefe Dankbarkeit.
    Lichtenberg spitzte den Mund, wackelte mit dem Kopf und begann zu kichern. »Fürwahr, das ist der seltsamste Rat, den mir ein Arzt je gegeben hat! Aber er klingt nicht schlecht. Ihr habt mich überrascht, Abraham, angenehm überrascht. Vielleicht mache ich die Probe aufs Exempel! Trinkt Ihr noch einen mit mir auf Eure
grandiose
Therapie? Ich bin nicht sicher, ob sie bei mir wirken wird, aber
conveniren
wird sie mir auf alle Fälle!«
    Abraham dachte abermals an Alena und erhob sich. »Ich muss leider ablehnen, Herr Professor, auf mich wartet noch einige Arbeit in dieser Nacht.«
    Lichtenberg wieherte. »Schon gut, ich verstehe. Sicher braucht Ihr ebenfalls die von Euch empfohlene Therapie, hoho!«
    »Ich darf mich dann verabschieden.« Abraham nickte steif. »Stets zu Diensten, Herr Professor.«
    »Auch ich empfehle mich«, sagte Heinrich.
    »Halt, nicht so schnell! Ich muss mich noch für Euren Rat erkenntlich zeigen, Abraham! Da Ihr ein Honorar sicher verschmäht, lade ich Euch zu meiner nächsten Vorlesung ein, ganz ohne Pultgeld, versteht sich. Sie findet morgen Vormittag in meinem Haus statt. Es ist das Eckhaus Gothmarstraße/Prinzenstraße, ›Schmahlens Laden‹ genannt. Ihr, mein lieber von Zettritz, die Ihr nur ein Haus weiter wohnt, seid natürlich ebenfalls willkommen. Ich bin sicher, Abraham, mein neues Experiment mit dem Elektrophor wird Euch als Arzt interessieren.
Manus manum lavat,
nicht wahr?«
    »Danke, Herr Professor.«
    »Allerdings« – Lichtenberg blickte verschwörerisch – »wie heißt es so schön: Wenn eine Hand die andere wäscht, werden meistens beide schmutzig. Lassen wir also die lateinischen Phrasen. Kommt einfach so vorbei, pünktlich um zehn.«
    »Jawohl, Herr Professor.«
    »Gerne, Herr Professor.« Heinrich nahm Abraham beim Arm und zog ihn hinaus.
    Als sie draußen waren, wollte Abraham sich rasch verabschieden, doch der junge
Fuchs
hielt ihn zurück. »Könnten wir nicht noch einen Moment zu mir gehen?« Seine Stimme zitterte leicht.
    »Tut mir leid, Heinrich, ich muss …«
    »Es wäre nur für einen Augenblick. Ich würde dir mein Logis zeigen und … und … ich habe auch noch einiges bei Professor Richter für dich mitgeschrieben. Es geht ums Innere des Auges, speziell um Entkrampfungsmittel vor Operationen, um Geist und Körper zu

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