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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sagte ein Wort, nur ein Hüsteln hier und ein scharrender Fuß dort.
    »Geht wieder an eure Arbeit, Leute.«
    Als die Menschen sich zerstreut hatten, richtete Mylius seinen Blick auf Alena. Sein Gesicht war grau vor Kummer, doch er wirkte gefasst. »Ihr, Schwester Alena«, sagte er tonlos, »habt mir das Leben gerettet. Denn als Eure Andacht begann, lag ich bereits neben meiner Frau, das Gift in der Hand. Eure eindringlichen Worte und Euer Gesang haben jedoch dazu geführt, dass ich meinen Entschluss noch einmal überdachte. So habe ich mich letztendlich nicht für das
Valet
entschieden, sondern für das
Vivat.
« Er räusperte sich und fuhr fort: »Ob es die richtige Entscheidung war, weiß ich noch nicht.«
    Alena verneigte sich schweigend.
    »In jedem Falle aber danke ich Euch.«
    »Beginnt ein neues Leben«, sagte Alena leise. »Nehmt die ehrliche Reue, die ihr empfindet, zum Anlass, die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen.«
    Mylius zuckte mit den Schultern. »Das ist schön gesagt. Aber ich habe so vieles falsch gemacht. Wo sollte ich da anfangen?«
    Alena legte ihm die Hand auf den Arm. »Beginnt damit, dass Ihr zu Eurer Köchin und ihrem Kind geht.«
    »Zu Else?« Mylius blickte verständnislos.
    »Und zu ihrem Kind. Es heißt Mia und ist zu einem reizenden kleinen Mädchen herangewachsen.«
    »Aha, und warum erzählt Ihr mir das?«
    »Nun, Mia wird Euch vielleicht bekannt vorkommen.«

[home]
    Von dannen Er kommen wird …
    A m Montagabend bog Abraham beschwingten Schrittes in die Güldenstraße ein. Die Reaktionen von Pentzlin und Burck auf die Funkenblitze des Lichtenbergschen Elektrophors beflügelten noch immer seinen Geist. Er hatte, nachdem Heinrich gegangen war, noch einige Zusätze in dem von ihm angefertigten Protokoll auf- genommen und sich anschließend den Unterlagen über die Entkrampfungsmittel gewidmet. Doch seine Gedanken waren dabei immer wieder abgeglitten zu den beiden Bergleuten. Warum hatten sie in großer Regelmäßigkeit auf den Elektrophor reagiert und der dritte Kranke, Burck, überhaupt nicht? Es war wie so häufig in der Wissenschaft: Kaum glaubte man, der Lösung des einen Rätsels nähergekommen zu sein, tat sich bereits das nächste auf. Doch er wollte nicht undankbar sein. Er war am heutigen Tag weitergekommen als jemals zuvor.
    Er stieß die Tür zum Vonnegutschen Haus auf und rief frohgemut: »Guten Abend. Niemand soll heute sagen, ich wäre nicht pünktlich zum Essen da!« Er ging geradewegs in die große Stube, in der die Mahlzeiten eingenommen wurden, und sah zu seiner Bestürzung, dass die jungen
Studiosi
bereits am Tisch saßen und es sich schmecken ließen. »Nanu«, sagte er erstaunt, »es ist doch noch gar nicht sieben?«
    Die Witwe erschien, aus der Küche kommend, und antwortete: »Es ist schon sieben durch, Julius, du bist wieder einmal zu spät. Ich kann nicht sagen, dass mir das großes
Plaisier
macht. Und nun setz dich.«
    Abraham wollte widersprechen, sah aber die Wolken auf der Stirn seiner Zimmerwirtin und fragte stattdessen: »Wo ist denn Alena?«
    »Es gibt eine Pastete aus Kalbsbrust, Speck, Schalotten, Petersilie, Salz und Muskatnuss.«
    »Aha.« Abraham verstand, dass er keine Antwort bekommen sollte.
    Er begann zu essen. Die so ausführlich beschriebene Pastete war deliziös, besonders in Verbindung mit den dazu gereichten gebratenen Pilzen und Kartoffeln, doch wollte es ihm nicht recht schmecken, weil er sich ständig fragte, wo Alena sein mochte. Die Mahlzeit verlief nahezu schweigend, wie die Witwe es schätzte, wenn sie nicht gerade selbst redete, nur als Amandus zum dritten Mal nachnehmen wollte, gebot sie Einhalt.
    »Das reicht«, sagte sie. »Bei mir soll keiner verhungern, aber auch keiner platzen.« Und zu den anderen gewandt: »Ihr lebt hier sowieso wie die Vögel im Hanfsamen und tanzt auf meiner Gutmütigkeit herum. Zum Nachtisch gibt’s heut Klöße aus Luft, weil dafür keine Zeit mehr war. Und nun räumt ab, ihr
Burschen.
Nein, du nicht, Julius. Bleib sitzen, ich hab was mit dir zu besprechen.«
    »Ihr macht es spannend, Mutter Vonnegut. Ist irgendetwas mit Alena?«
    »Wart’s nur ab.«
    Kurz darauf bekam er endlich die Antwort: »Deine Frau ist nicht hier, sie ist mit dem Franz nach Kassel. Du weißt doch, der Franz, der damals bei mir wohnte. Er philosophierte, bevor er seinen Doktor baute.«
    »Franz Mylius? Was hat der mit Alena zu schaffen?«
    Die Witwe erklärte es mit den ihr eigenen treffenden Worten.
    »Und wann kommt

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