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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Widerstand aufgegeben hatte. »Jetzt wird alles gut«, hatte er gesagt. »Spätestens nach der Beerdigung wird wieder so etwas wie Normalität in dieses Haus einziehen, dann werden sich auch meine geschätzten Schwestern verabschiedet haben.«
    »Du sagst das so, als würdest du sie keineswegs schätzen.«
    Franz hatte den Kopf geschüttelt. »Gott bewahre, so ist es nicht. Jedenfalls war es nicht immer so. Früher mochte ich sie gern. Josepha und Alexandra waren meine älteren Schwestern, die mir nahezu alles durchgehen ließen, wenn sie auf mich aufpassen mussten. Wir hatten viel Spaß miteinander. Ich spielte ihnen zahllose Streiche, aber sie verübelten mir das nie, und vor Mutter nahmen sie mich stets in Schutz. Später, als Vater sie verheiratete, änderte sich unser Verhältnis allerdings. Meine fröhlichen Schwestern wurden mit jedem Jahr zänkischer und übler gelaunt, und das alles nur aus einem Grund: Beide waren unglücklich in ihrer Ehe. Sie hatten zwar Geld geheiratet, aber nicht das Glück. Seitdem suchen sie sich andere Arten der Zerstreuung, sie gehen zu Bällen, Opernaufführungen und Lesungen, überbieten sich im Zitieren von Dichtern wie Goethe, Schiller, Lessing, geben Unsummen für Kleider und sonstige
Staffage
aus, sterben fast an ihrer Vornehmheit und umgeben sich mit Dienern, die keine sind.«
    »Das habe ich gemerkt«, hatte Alena gesagt. »Den drei Kerlen, die ich im Garten traf, möchte ich nicht im Dunkeln begegnen.«
    »Sie sind eigentlich Landsknechte. Ich habe es gestern erst durch Zufall erfahren. Sie sind wehrhaft auf Reisen und ausdauernd im … nun, an anderer Stelle. Wenn du mich fragst: Auch ich bin froh, wenn die Kerle fort sind. Sie haben nur Unruhe und böses Blut in dieses Haus gebracht.«
    »Immerhin sind sie zu meiner Andacht gekommen.«
    Franz hatte gelächelt. »Ich glaube, in dem Lichtermeer wäre selbst der Teufel fromm geworden. Du hast es wirklich großartig gemacht.«
    »Ich danke dir. Normalerweise muss eine Klagefrau am Tage der Beerdigung dabei sein, aber würdest du mich trotzdem schon heute ziehen lassen?«
    »Natürlich. Ich wette, Vater ist wieder ganz der Alte. Er wird alles wie üblich bis ins Kleinste planen und nichts dem Zufall überlassen. Fahr nur.« Er hatte ihr die versprochenen zehn Taler in Mariengroschen ausgezahlt. »Für das Wunder, das du vollbracht hast.«
    Und diese Groschen klimperten nun in Alenas Gürteltasche, während die von vier prächtigen Schimmeln gezogene
Chaise
in die Güldenstraße einbog und nach wenigen Schritten vor dem Vonnegutschen Haus hielt. Der Kutscher sprang vom Bock herab und öffnete ihr die Tür. Alena stieg, die Röcke schürzend, aus und kam sich vor wie eine große Dame. Der Kutscher zog den Dreispitz und verbeugte sich. »Alles Gute wünsch ich Euch, Schwester Alena.«
    »Gott befohlen.« Alena ging zur Haustür und wollte den bronzenen Klopfer betätigen, aber das war nicht mehr nötig. Die Tür ging wie von selbst auf, und eine strahlende Witwe erschien. Offensichtlich hatte sie die vornehme Kutsche schon durchs Fenster erspäht, denn sie duftete nach
Eau de Lavande
und trug ihren besten Kopfaufsatz, ein prächtiges golddurchwirktes Gebilde, das üppig von Rüschen und Brüsseler Spitze umkränzt war. Der Fahrer, der schon den Kutschbock erklimmen wollte, drehte sich noch einmal um und zog zum zweiten Mal den Dreispitz. »Auch Euch einen guten Tag, gnädige Frau.«
    »Guten Tag.« Mit großer Geste gab die Witwe dem Mann eine kleine Münze. »Für Eure Bemühungen.« Die Anrede »gnädige Frau« ging ihr hinunter wie Öl. »Komm herein, Alena, du hast sicher viel zu erzählen.«
    In der Küche griff die Witwe zur Liqueurflasche und sagte: »Setz dich. Was hast du erlebt, Kind? Ein Flitzbogen könnt nicht gespannter sein als ich.«
    »Wenn Ihr erlaubt, Mutter Vonnegut, möchte ich eine Weile stehen. Ich habe fürs Erste genug vom Sitzen, fünfundzwanzig Meilen können lang werden.«
    »Ja, ja, du hast dich sicher auf zu Hause gefreut. Nun gut, ich sitze, du stehst. Hier, nimm ein Liqueurchen, das ist Labsal für die Seele. Und nun spann mich nicht länger aufs Streckbett. Was hast du erlebt?«
    Alena berichtete ausführlich, was sich im Myliusschen Haus zugetragen hatte, und fragte dann nach den Neuigkeiten in der Güldenstraße.
    Die Witwe griff nach ihrer Hand. »Du willst sicher wissen, wie Julius auf dein Fortgehen reagiert hat«, sagte sie mütterlich. »Nun, er war kleinlaut wie ein Mäuschen in der Falle,

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