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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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und ein paarmal fragte, ob er irgendetwas für den Herrn Doktor tun könne.
    Abraham hatte nur ein »Ich will nicht gestört werden« hervorgepresst und sich wieder in die Versuchsarbeit gestürzt. Während er experimentierte, zermarterte er sich das Hirn, wie er die Sache wieder einrenken könne, doch ihm wollte nichts einfallen. Dabei konnte er Alena keineswegs verübeln, dass sie so einfach gegangen war. Zu erdrückend war die Beweislast für seine »Untreue« gewesen. Und zu unglaubwürdig, ja, geradezu lächerlich, hatte es geklungen, als er ihr hoch und heilig versicherte, er habe das Medaillon keinesfalls annehmen wollen, und er wisse wirklich nicht, wie es in seine Tasche gekommen sei.
    Abraham grübelte weiter und kam schließlich zu einem Ergebnis: Er würde Henrietta bitten, sich mit ihm und Alena zu treffen. Bei diesem Treffen sollte Henrietta bezeugen, dass zwischen ihnen alles ganz harmlos abgelaufen war und dass sie das Medaillon in seine Rocktasche geschmuggelt hatte.
    Er fand die Idee nicht sonderlich gescheit. Aber es war immerhin etwas, das er unternehmen konnte. Und besser als gar nichts.
    Da er glaubte, von Alena ohnehin eine Abfuhr zu bekommen, beschloss er, zunächst zu Henrietta zu gehen. Die Situation würde nicht gerade einfach sein, aber vielleicht wusste sie einen Rat, wie eine Aussprache zustande kommen könnte. Frauen verstanden von Frauen viel mehr als Männer. Abraham schlug die Journale zu, verabschiedete sich von Hasselbrinck, dem er sagte, er müsse noch etwas erledigen, und trat auf die Straße.
    Es war ein milder Tag gewesen, doch jetzt am Abend stieg die Kälte wieder aus dem Boden auf. Abraham fröstelte und zog sich den Gehrock aus Nankinett fester um die Schultern. Er lenkte seine Schritte nach Norden zum Universitätsgelände in der Innenstadt. Er war so in Gedanken versunken, dass er kaum auf die wenigen Passanten achtete. Er nahm auch nicht wahr, dass plötzlich schnelles Hufgetrappel in seinem Rücken erklang. Das Getrappel kam näher und näher, und jählings spürte er einen heftigen Schlag gegen seine linke Schulter. Er taumelte, fing sich und blickte auf die Straße. Der Reiter hatte sein Pferd zum Stehen gebracht und blickte ihn von oben herab an. »Schön, dass ich dich treffe, Possenreißer. Du hast dich in letzter Zeit ziemlich rar gemacht.«
    Es war der Pommeraner.
    Abraham stöhnte und rieb sich die Schulter. Der Schmerz war so groß, dass er ihm die Luft nahm.
    »Du kannst von Glück sagen, dass ich nur die stumpfe Seite meines Hiebers benutzt habe, Possenreißer. Wir haben noch eine Rechnung offen. Der Schlag soll dich ein wenig befeuern, meine Forderung anzunehmen. Oder hast du immer noch die Hosen voll?«
    »Ich … duelliere mich nicht«, keuchte Abraham.
    »Jammerlappen, Drückeberger!« Der Pommeraner spuckte aus. »Kroppzeug wie du gehört aufs Land, Jauche fahren, und nicht an die Georgia Augusta. Eine Schande ist das!«
    Abraham hatte sich so weit erholt, dass ein gewaltiger Zorn sich seiner bemächtigte. »Ich sagte schon, dass ich nur mit den Augen kämpfe.«
    »Haha, das sagen alle Feiglinge!«
    »Wenn hier einer feige ist, dann du, du kleiner dummer Junge.«
    Mit Genugtuung sah Abraham, wie die Beleidigung Wirkung zeigte. Im Gesicht des Pommeraners arbeitete es, doch er beherrschte sich. »Morgen Abend auf unserem Fechtboden«, stieß er hervor. »Das zweite Haus links neben dem Anatomischen Theater. Acht Uhr. Sei pünktlich, Possenreißer.«
    »Ich werde nicht kommen. Du wirst gegen Windmühlenflügel kämpfen müssen.« Abraham mühte sich, höhnisch zu klingen. »Das stelle ich mir sehr lustig vor.«
    »Verdammter Feigling!« Der Pommeraner riss den Hieber hoch. »Dann werde ich dich jetzt gleich …«
    »Was geht da vor?« Zwei Männer der Nachtwache waren um die Ecke gebogen und näherten sich rasch. Der Pommeraner sah sie, verharrte mitten in der Bewegung und riss dann sein Pferd herum. Davonreitend rief er Abraham noch einmal zu: »Glück gehabt, Feigling! Morgen Abend, acht Uhr!«
    »Ist Euch etwas geschehen?«, fragte einer der Wachmänner.
    »Nein, es ist nichts.« Abraham rieb sich die schmerzende Schulter.
    »Es sah aber nach einem Überfall aus«, sagte der andere Mann. »Kennt Ihr den Reiter?«
    »Nein«, sagte Abraham. »Aber ich danke Euch vielmals. Ihr seid gerade zum rechten Zeitpunkt gekommen.«
    »Schade, dass der Kerl entwischt ist«, sagte der erste. »Na, vielleicht beim nächsten Mal. Wer so schnell auf der Straße reitet,

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