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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Zorn heraufbeschwören könnte. Das verstehst Du sicher, liebe Susan, obwohl Edwards Verhalten genau das ist, wogegen Ihr Suffragetten ankämpft. Aus diesem Grund weiß ich nicht, was in London vor sich geht, hoffe jedoch, dass Du gut auf Dich aufpasst, ja? Gerne würde ich Dir anbieten, mich auf Sumerhays zu besuchen. Als ich Lavinia dies vorschlug, wies sie den Gedanken jedoch brüsk von sich. Ich weiß nicht, in welcher Verbindung Du und Lavinia steht (oder einmal standet), es geht mich auch nichts an. Ich jedoch bin Dir zu großem Dank verpflichtet und werde Dir niemals vergessen, dass Du mich aus dem Gefängnis geholt hast. Solltest Du irgendwann einmal Hilfe benötigen, so lass es mich bitte wissen. Leider kann ich Dir finanziell nicht unter die Arme greifen, denn ich habe kein eigenes Geld. Mein Bruder meint, dies wäre nicht notwendig, schließlich lebe und esse ich auf Sumerhays. Eigentlich brauche ich auch kein Geld, denn ich habe hier alles, was ich benötige.
    Hast Du eigentlich Lavinias Tochter Anabell jemals kennengelernt? Wenn nicht, wäre das sehr schade. Ich glaube, sie ist das intelligenteste und liebreizendste Mädchen auf der ganzen Welt. Schon heute ist zu erkennen, dass Anabell einmal eine Schönheit werden wird, zudem ist sie ihrem Alter weit voraus und sehr intelligent …
    Susan ließ das Blatt sinken. Seit Wochen hatte sie nicht mehr an Anabell gedacht, und jetzt riss Rosalinds Brief die Wunde, die langsam zu heilen begann, wieder auf. Dies trübte ihre Freude darüber, dass es Rosalind gutging und sie wieder im Kreis ihrer Familie lebte.
    Nachdem die Frauen, die im Juni in das Gefängnis Holloway gebracht worden waren, in den Hungerstreik getreten waren, hatte Susan ungeduldig auf jede Neuigkeit gewartet. Sie hatte Lavinias Reaktion nicht einschätzen und auch nicht beurteilen können, ob sie Rosalind wirklich helfen würde. Dann jedoch erfuhr sie, dass einzelne Frauen – darunter Rosalind Cassidy – aus der Haft entlassen worden waren. Nachdem Rosalind sie, Susan, nicht aufgesucht hatte, vermutete Susan, dass die Freundin bei ihrer Familie war. Einmal war sie in die Gegend gefahren, in der sich das Haus der Callingtons befand, in der Hoffnung, jemanden von der Familie, vielleicht sogar Rosalind selbst, zu sehen. Zu klingeln getraute sie sich nicht, und so kehrte sie unverrichteter Dinge zurück.
    Als eine Frau, die zusammen mit Rosalind inhaftiert war, berichtete, dass die meisten Frauen nach Hause zu ihren Familien gegangen waren, fühlte Susan sich erleichtert. Durch ihre Schuld war Rosalind in etwas hineingeraten, was sie niemals gewollt hatte. Ihr Brief zeigte nun, dass sie, Susan, richtig gehandelt hatte, wenngleich es bedeutete, sich von Lavinia und vor allen Dingen von Anabell fernzuhalten.
    Werde ich jemals vergessen können?, fragte Susan sich. Konnte ein liebendes Mutterherz jemals die Existenz ihres Kindes vergessen? Selbst Zenobia, die zwanzig Jahre so getan hatte, als hätte sie nie eine Tochter gehabt, hatte wieder zu Rosalind zurückgefunden.
     
    Der Artikel über Susan und ihren Einsatz für das Frauenwahlrecht erschien zwei Tage später auf der Titelseite des
London Viewers
und war ein großer Erfolg.
    »Seit heute Morgen steht das Telefon nicht mehr still«, sagte Jane Moore, eine hauptberufliche Mitarbeiterin, mit leuchtenden Augen. »Frauen rufen an, um zu fragen, wie sie uns unterstützen können, aber auch einige Männer. Nun, diese beschimpfen uns zwar meistens, dann hänge ich den Hörer einfach wieder ein.«
    »Dann hoffen wir mal, dass die Leute ihre Geldbeutel öffnen und fleißig spenden«, erwiderte Susan und grinste. »Eigentlich hatte ich mit meiner Vergangenheit als Peggy Sue abgeschlossen, wenn es der Gruppe jedoch hilft, zu Geld zu kommen, dann ist meine frühere Popularität vielleicht von Vorteil.«
    Die
WSPU
brauchte dringend finanzielle Unterstützung. Nach dem Aufstand im Juni hatten sich einige zahlungskräftige Mitglieder zurückgezogen, da ihnen das radikale Vorgehen der Gruppe missfiel. Die Miete für die Büroräume und die Kosten für die Materialien wurden ausschließlich aus Spenden finanziert. Für die geplante Parade mussten noch Hunderte von Transparenten und Plakaten entworfen und erstellt werden, dafür benötigten sie dringend Papier und Farbe, in der Kasse herrschte jedoch Ebbe.
    Susan war dennoch optimistisch. Zwar war ihre Aktion, die Arbeiterinnen in den Fabriken aufzusuchen, nicht ganz so erfolgreich wie erhofft verlaufen,

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