Das Lied der Luege
müssen?«
Paul drehte den Kopf zur Seite und murmelte: »Geh jetzt … bitte.«
Susan stand auf und umklammerte fest die Tasche. Am Fußende des Bettes stand Kate, die, in der Hand ein Glas Wasser, mit brennenden Augen auf Paul starrte. Sie musste Pauls Worte gehört haben. Bevor Susan etwas sagen konnte, nickte Kate ihr zu.
»Ich habe ihm zugeredet, Ihnen das Geld zu geben. Es steht Ihnen zu, denn ich war ja nie richtig seine Frau.« Ein bitteres Lächeln zuckte um ihre Lippen. »So, wie ich jetzt keine Witwe sein werde.«
Susan legte eine Hand auf Kates Arm. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll …«
Kate sah sie nicht an, als sie leise sagte: »Lassen Sie mich jetzt bitte mit meinem … mit Paul allein. Kommen Sie heute Abend zu uns, dann werde ich Ihnen Jimmy geben. Bis dahin möchte ich bei Paul bleiben … es wird nicht mehr lange dauern.«
Paul starb am frühen Nachmittag. Er litt keine Schmerzen, sondern wurde müde und schlief ein. Und dann hörte er einfach auf zu atmen.
»Du musst etwas essen!« Eindringlich sah Susan Jimmy an. »Ich habe Roastbeef gekauft, weil heute Sonntag ist. Probier doch wenigstens mal, es schmeckt köstlich.«
Mit abwehrend vor der Brust verschränkten Armen lümmelte Jimmy auf dem Küchenstuhl und starrte verächtlich auf seinen unberührten Teller.
»Jetzt lass ihn doch«, mischte Doro sich ein. »Der Junge hat gerade seinen Vater und sein Zuhause verloren. Er braucht Zeit, sich einzugewöhnen.«
Sag mir nicht, wie man Kinder erzieht, lag es Susan auf der Zunge, vor Jimmy wollte sie aber nicht streiten, stattdessen versuchte sie, ihrem Sohn über den Kopf zu streichen. Er duckte sich blitzschnell weg und warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Ach, Jimmy, es ist schrecklich, was geschehen ist«, sagte Susan leise und ließ sich ihre Enttäuschung, dass er jeglicher körperlicher Berührung auswich, nicht anmerken. »Du hast seit drei Tagen nichts gegessen. Glaub mir, ein Hungerstreik ist furchtbar, ich weiß, wovon ich rede. Jetzt komm, probier einfach mal, ich habe den Braten extra für dich gemacht.«
Jimmy senkte den Blick und presste die Lippen aufeinander, eine steile Unmutsfalte auf der Stirn. In dieser Haltung war er das jüngere Ebenbild Pauls. Jimmys Körperbau ließ jetzt schon darauf schließen, dass er nicht sehr groß, dafür aber stämmig werden würde, und er hatte das gleiche kantige Kinn wie sein Vater.
»Susan, sei nicht so streng mit ihm.« Erneut ergriff Doro das Wort. »Er wird schon essen, wenn er Hunger hat. Kinder verhungern nicht einfach so.«
»Ich bin kein Kind mehr!« Jimmy sprang so hastig auf, dass sein Stuhl polternd umstürzte. »Ich bin elf Jahre alt und fast erwachsen, und ich hoffe, dieser Krieg wird noch ganz lange dauern, damit ich groß genug bin, um Soldat zu werden. Dann erschieße ich die Männer, die meinen Dad umgebracht haben. Jeden Einzelnen …«
Seit Jimmy bei Susan wohnte, waren das die ersten zusammenhängenden Sätze, die er von sich gegeben hatte. Er lief zur Tür, riss sie auf und polterte die Treppe hinunter. Susan wollte ihm folgen, aber Doro hielt sie am Arm fest.
»Lass ihn«, sagte sie eindringlich. »Der Junge ist völlig durcheinander, was mich auch nicht wundert. Gestern wurde sein Vater beerdigt, und er hat das einzige Zuhause, das er kannte, verloren und muss künftig bei einer Frau leben, die eine Fremde für ihn ist. Susan, du weißt, wie ich mich für dich freue, dass du und dein Sohn endlich vereint seid, der Junge hat keine Erinnerung an dich. Du musst ihm Zeit lassen, sich daran zu gewöhnen, dass du seine Mutter bist.«
Obwohl Susan nicht immer mit Doro einer Meinung war, nickte sie seufzend.
»Du hast recht. Ich habe mir das nur so schön vorgestellt – mein Sohn und ich endlich zusammen. Ich habe nicht geahnt, dass Jimmy derart an seinem Vater hing. Paul konnte ihm doch unmöglich ein guter Vater gewesen sein, und die Frauen an Pauls Seite wechselten ständig.«
»Paul war sein Vater«, sagte Doro schlicht. »Der Einzige, den er kannte und der immer für ihn da war, während Jimmy sich ständig mit neuen Müttern konfrontiert sah. Das, was er jetzt am meisten braucht, ist Ruhe und Beständigkeit.«
»Und Liebe«, ergänzte Susan traurig. »So viele Jahre habe ich meine Liebe für Jimmy ganz tief in meinem Herzen vergraben, glaubte, ihn niemals wiederzusehen oder gar in die Arme schließen zu dürfen, doch jetzt weicht er jeder Annäherung aus.«
»Weil du ihn mit deiner Liebe
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