Das Lied der Luege
Schlafzimmer zurück. Ronald saß, zwei Kissen im Rücken, im Bett. Die Decke bedeckte ihn nur bis zur Hüfte, und Susan dachte unwillkürlich, dass er einen schönen Körper hatte. Einen Körper, der sie in den Nächten wärmte, ihr Leidenschaft und Ekstase schenkte und ihr das Gefühl gab, ganz und gar Frau zu sein. Angst vor einer neuen Schwangerschaft hatte Susan keine, denn inzwischen hatte sie herausgefunden, dass es Mittel und Wege gab, eine solche zu verhindern.
»Hm, das duftet verlockend.« Ronald leckte sich die Lippen.
Susan stellte das Tablett aufs Bett und setzte sich auf die Kante. Gemeinsam stillten sie ihren Hunger, dann sagte Ronald plötzlich: »Musst du wirklich nach Frankreich fahren? Wir könnten es uns die nächsten Tage so richtig schön machen, jetzt, da du bis Anfang Januar spielfrei hast.«
Susan seufzte innerlich. In den letzten Wochen hatten sie das Thema mehrmals diskutiert.
»Du weißt, wie sehr ich mich darauf freue, Sarah wiederzusehen, und wie glücklich ich über ihre Einladung bin«, sagte sie bemüht ruhig. »Zudem sehne ich mich nach ein paar freien Tagen am Meer.«
»Warum kann ich nicht mitfahren?« Ronald griff nach ihrer Hand. »Ich glaube, deine Freundin Sarah hätte Verständnis, wenn du mit einem Mann kommst. Ihr eigener Lebenswandel ist ja alles andere als bescheiden gewesen. Selbst heute noch sagt man, ihre Liebhaber geben sich die Klinke in die Hand, obwohl sie weit über sechzig ist.«
Ein Schatten fiel über Susans Gesicht. Sie entzog Ronald ihre Hand und stand auf.
»Ich mag es nicht, wenn du so über Sarah Bernhardt sprichst. Ihr habe ich es zu verdanken, dass ich heute eine gefragte Schauspielerin bin.«
»Es tut mir leid«, sagte Ronald zerknirscht. »Ich wollte diese große Dame nicht beleidigen.«
»Dann beenden wir das Thema, aber ich bitte dich zu akzeptieren, dass ich in drei Tagen nach Frankreich abreise, und ich möchte allein fahren.«
Ronald McPhearson-Grant kannte Susan inzwischen gut genug, um zu wissen, dass es zwecklos war, weiter auf sie einzureden. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie stur wie ein Esel sein, aber gerade das faszinierte ihn so an ihr. Peggy Sue war nicht wie andere Frauen, in gewisser Weise schlug sie sehr ihrem Vorbild Sarah Bernhardt nach. Zwar war sie nicht so exzentrisch wie die französische Diva, auch ging Peggy Sue nicht so verschwenderisch mit ihrem Geld um und hielt sich auch nicht – wie Madame Sarah – wilde Tiere in der Wohnung, dennoch war es Ronald bisher nicht gelungen, ganz zu ihr vorzudringen. Nun, vielleicht würde das
Geschenk
, das er ihr heute Nachmittag machen würde, daran etwas ändern. Er platzte beinahe vor Aufregung, aber er würde nichts verraten, denn die Überraschung sollte für Peggy Sue so groß sein, dass sie einfach nicht nein sagen konnte.
Ronald trank seine Tasse aus und stand auf.
»Ich muss jetzt gehen, mein Liebes. Ich hole dich um drei Uhr ab, wenn es dir recht ist.«
Susan nickte und reckte ihm die Wange zum Abschiedskuss entgegen. Nachdem Ronald gegangen war, ließ Susan ein heißes Bad ein. Während sie sich im warmen Wasser entspannte, begann sie, sich auf die folgenden zwei Wochen zu freuen. Sarah Bernhardt hatte sie eingeladen, den Jahreswechsel in ihrem Haus auf der Belle-Île zu verbringen. Zwar hatte Susan die warnenden Worte der Schauspielerin Christine nicht vergessen, die meinte, Madame Sarah würde oft Einladungen aussprechen, die sie später bereute oder an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, trotzdem war Susan entschlossen, nach Frankreich zu reisen. Natürlich war es auch Neugierde, zu sehen, wie die berühmteste Schauspielerin der Welt lebte. Sarah Bernhardt war jetzt fünfundsechzig Jahre alt. Obwohl sie sich offenbar bester Gesundheit erfreute und nach wie vor um die ganze Welt tourte, war sie in einem Alter, in dem man nicht wusste, wie lange Sarah noch leben würde. Da in absehbarer Zeit kein Gastspiel in England geplant war, wollte Susan sich die Möglichkeit, diese großartige Frau wiederzusehen, nicht entgehen lassen. Auf den Nachmittag freute sie sich ebenfalls. Susan war gespannt, was für ein Geschenk sich Ronald für sie ausgedacht hatte. Vielleicht ein Schmuckstück oder einen Pelzmantel? Bisher hatte Susan zwar jegliche Geschenke Ronalds abgelehnt, aber heute war Weihnachten und daher ein besonderer Tag. Sie selbst hatte ihrem Geliebten eine handgeschnitzte Tabakpfeife geschenkt, da Ronald keine Zigaretten oder Zigarren,
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