Das Lied der Maori
bleiben?«
»Und?«, fragte Tim. Er beobachtete, wie eins der Schankmädchen einen Drink für die Pianistin auf das Klavier stellte. Miss Lainie kippte den Whisky in einem Zug herunter. Nicht gerade ein Zeichen für die Unschuld vom Lande.
»Und nichts!«, erwiderte Ernest. »Sie spielt Klavier, plaudert ein bisschen mit den Männern, aber sonst – nichts!«
»Wobei das Plaudern sich auf die Arbeitszeit beschränkt«, fügte Matt hinzu. »Ansonsten redet sie mit keinem Mann außer mit dem Reverend.«
»Mit mir hat sie heute Nachmittag gesprochen«, bemerkte Tim.
Das Mädchen spielte jetzt
Whisky in the Jar
, anscheinend auf Bestellung. Ein Drink, ein Lied.
»Oh, Sie haben sie also schon kennen gelernt!«, sagte Matt lachend. »Na, ich wette, das Gespräch beschränkte sich auf das Wetter. Viel mehr ringt sie sich nicht ab.«
»Wir haben über Pferde gesprochen«, meinte Tim selbstvergessen.
Ernest lachte. »Na, Sie sind von der schnellen Truppe! Haben es also auch schon versucht. Und gar nicht mal schlecht. Zum Thema ›Pferde‹ sagt sie noch am ehesten was. Dann geht noch ›Hunde‹. Und Joel Henderson behauptet, sie habe sich mal drei Sätze zu einem irischen Lied und den zwei verschiedenen Textversionen dazu abgerungen.«
»Was soll ich denn versucht haben?« Tim ertappte sich dabei, kaum noch zuzuhören. Lainies Vortrag am Klavier fesselte ihn sehr viel mehr.
»Na, bei ihr zu landen!« Matt verdrehte die Augen. »Aber das ist hoffnungslos, glauben Sie ’s mir. Wir haben es alle probiert. Die Bergleute sowieso, aber die kriegen bei keiner hier ’ne Schnitte. Welches Mädchen will schon in deren Quartiere ziehen? Aber auch die Ladenbesitzer und ihre Söhne, die Handwerker, also Ernie hier, und der Schmied ... und meine Wenigkeit sowie die Steiger von Blackball und Biller. Alles vergebene Liebesmüh. Sie guckt keinen an.«
Das war im wahrsten Sinne des Wortes so. Tim dachte an Lainies gesenkten Blick während ihrer gesamten Unterhaltung.
»Wissen Sie, was die anderen Mädchen von ihr sagen?«, fragte Ernest. Er wirkte schon ein bisschen beschwipst, aber vielleicht ließ ihn auch der Gedanke an seine missglückte Werbung um Lainie melancholisch wirken. »Die sagen, Miss Lainie hat Angst vor Männern ...«
Tim wartete, bis die Unterhaltung sich wieder auf andere Dinge konzentrierte. Dann stand er langsam auf und ging zum Piano hinüber. Diesmal achtete er darauf, dass Lainie ihn sah. Er wollte sie nicht wieder erschrecken.
»Guten Abend, Miss Keefer«, sagte er förmlich.
Lainie senkte den Kopf, und ihr Haar fiel wie ein Vorhang vor ihr Gesicht.
»Guten Abend, Mr. Lambert«, antwortete sie. Seinen Namen hatte sie sich also immerhin gemerkt.
»Ich hab mein Pferd eben neben Ihre Stute gestellt, und die beiden flirten heftig.«
Leichte Röte überzog Lainies Gesicht.
»Banshee freut sich über Gesellschaft«, sagte sie dann steif. »Sie ist einsam.«
»Dann sollten wir sie gelegentlich ein bisschen aufheitern. Vielleicht möchte sie mal gemeinsam mit Fellow spazieren gehen?« Tim lächelte das Mädchen an. »Fellow ist mein Pferd, und ich versichere Ihnen, er hat nur die ehrbarsten Absichten.«
Lainie versteckte sich immer noch hinter ihrem Haarvorhang.
»Ja, sicher, aber ich ...« Sie sah kurz auf, und er meinte Schalk in ihren Augen aufblitzen zu sehen. »Ich lasse sie nicht allein spazieren gehen, wissen Sie?«
»Wir beide könnten uns den Pferden ja anschließen.« Tim versuchte beiläufig zu klingen.
Elaine musterte ihn vorsichtig. Tim sah sie treuherzig an, nicht anzüglich oder gar lüstern. Er schien wirklich nett zu sein, und er verpackte die Einladung zum gemeinsamen Ausritt auf diplomatischste Art. Wahrscheinlich hatten die anderen Männer ihn vorgewarnt. Und jetzt lief vielleicht eine Wette, ob er sie herumkriegte.
Elaine schüttelte den Kopf. Ihr fiel keine Ausrede ein, und so wurde sie nur rot und biss sich auf die Lippen. Callie unter dem Klavier knurrte.
Madame Clarisse nahm sich schließlich der Sache an. Was tat dieser Fremde bei Lainie? Versuchte er sich heranzuschmeißen? Auf jeden Fall schien er das Mädchen durcheinanderzubringen.
»Unsere Lainie ist nur zum Anschauen!«, erklärte sie resolut. »Und zum Anhören. Wenn Sie ein Lieblingslied haben und ihr einen Drink spendieren, soll sie ’s wohl für Sie spielen. Ansonsten bleiben Sie weg von ihr, verstanden?«
Tim nickte. »Ich komme darauf zurück«, sagte er freundlich, wobei er offen ließ, ob er die
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