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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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verzweifelt er manchmal die Fingernägel in die Bettdecke schlug – um Lainies Hand legte er seine Finger stets so behutsam wie um ein ängstliches Vögelchen. Lainie selbst schien den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt zu sein, als Geschichten zu sammeln, um Tim aufzumuntern. Sie lachte mit ihm und kommentierte den Dorfklatsch mit scharfen und treffenden Worten, las ihm vor und spielte mit ihm Schach. Es wunderte Tim, dass sie das Spiel beherrschte, doch die Geschichte über ihre Herkunft – Lainie pflegte zu behaupten, sie käme aus einem Arbeiterhaushalt in Auckland – glaubte er ohnehin nicht. Da reichten zwei Fragen nach wichtigen Aucklander Bauvorhaben. Das Mädchen hatte die Stadt offensichtlich nie gesehen.
    Lainies tägliche Besuche hielten Tim aufrecht, doch während die Wochen sich in quälender Langsamkeit dahinzogen, wuchs seine Hoffnung auf den Tag, an dem er endlich von den Verbänden befreit würde. Als der Experte aus Christchurch das Datum schließlich festlegte und sein Erscheinen für Mitte Juli ankündigte, konnte Tim sich vor Freude kaum halten.
    »Ich kann es gar nicht abwarten, dir endlich wieder auf Augenhöhe zu begegnen«, sagte er lachend, als Lainie am Nachmittag kam. »Es ist grässlich, zu allen Leuten hochblicken zu müssen!« Sie waren längst zu dem vertraulicheren Du übergegangen. Das konnte das Mädchen sich glücklicherweise abringen.
    Elaine runzelte die Stirn. »Wenn du so klein wärst wie ich, hättest du dich längst daran gewöhnt«, neckte sie ihn. »Außerdem soll auch Napoleon ein ziemlich kleiner Kerl gewesen sein.«
    »Immerhin konnte er auf einem Pferd sitzen! Was macht Fellow? Freut er sich auf mich?«
    Elaine hatte Tims Wallach nach dem Unfall behalten. Niemand von den Lamberts hatte je nach dem Pferd gefragt, und so blieb der Grauschimmel einfach im Stall von Madame Clarisse. Die beschwerte sich nicht, solange Elaine für das Futter aufkam, aber das setzte der Getreidehändler auf Tims Geheiß ohnehin auf die Rechnung der Lamberts. Banshee war froh über die Gesellschaft, und Elaine ritt die Pferde abwechselnd. Tim freute sich über ihre täglichen Berichte. Schon das war die Mehrarbeit wert.
    »Bestimmt«, meinte Elaine. »Aber glaubst du, dass du gleich wieder reiten kannst?«
    Elaine wollte Tims Optimismus nur zu gern teilen, aber sie hatte immer noch die schlechten Prognosen der beiden Ärzte im Ohr. Was war, wenn Tims Knochen doch nicht so gut verheilt waren, wie er hoffte? Wenn er doch nicht mehr gehen konnte oder allenfalls auf Krücken? Sie mochte Tim nicht an Dr. Leroys Befürchtungen erinnern, doch sie hegte ebenso viel Furcht wie Hoffnung, wenn sie an den Tag dachte, an dem die Gipsverbände entfernt werden sollten.
    »Wenn ich nicht mehr reiten kann, bin ich tot!«, sagte Tim, und Elaine musste lachen. Sie kannte den Spruch von ihrer Großmutter Gwyn; nur zu gern hätte sie Tim von der unverwüstlichen alten Dame erzählt. Doch Vorsicht ließ sie innehalten. Es war besser, niemanden in ihre wahre Lebensgeschichte einzuweihen. Und dass ein Arbeiterkind aus Auckland keine Schafbaronin zur Großmutter haben konnte, wusste wohl auch der Dümmste.
    »Es muss ja vielleicht nicht gleich am ersten Tag sein ...«, meinte sie vage.
    Tim verbrachte die folgenden Wochen nur noch damit, Pläne für die Zeit nach seiner Befreiung zu machen, während Berta Leroy immer sauertöpfischer dreinschaute. Schließlich nahm sie Elaine am Tag vor dem Besuch des Spezialisten beiseite.
    »Seien Sie morgen bloß hier, wenn sie die Verbände abnehmen. Er wird Sie brauchen«, meinte sie grimmig, mit fast drohendem Unterton.
    Elaine blickte verwirrt zu ihr auf.
    »Er will mich nicht dabeihaben«, sagte sie mit leichtem Bedauern. »Ich soll erst später kommen ...«
    »Er glaubt, dass er Ihnen strahlend entgegengehen kann«, bemerkte Berta bitter und wies auf ein paar Krücken, die neben der Tür zu Tims Krankenzimmer lehnten. »Hier, die hat Matt vorhin vorbeigebracht. Der Tischler hat sie nach Bildern in entsprechenden Katalogen angefertigt. Weil Dr. Porter keine mitbringen wollte. Nellie Lambert hat Tim erzählt, sie wären zu sperrig für den Transport. Aber die konnte ja noch nie mit der Wahrheit umgehen ...«
    »Mit welcher Wahrheit?« Elaine lief es eiskalt über den Rücken. »Es hieß doch, niemand könnte genau wissen, wie gut die Brüche verheilen. Und jetzt ... Tim ist sich so sicher, er hat seit Wochen keine Schmerzen mehr ...«
    »Kindchen ...« Berta seufzte

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