Das Lied der Maori
wirkte noch schmaler und nervöser als sonst; er schien seit der Sache mit dem Konzert in Blenheim immer dünner und blasser zu werden. Caleb führte Florence Weber am Arm. Das Mädchen wirkte überaus zufrieden und in sich ruhend, Caleb dagegen eher geschlagen. Die Eltern Biller und Weber folgten dem Paar stolz. William ahnte Schlimmes.
Kura beobachtete Calebs Auftritt von der Orgel aus und brannte darauf, nach der Kirche den Klatsch zu hören. Sie schämte sich ein bisschen dafür, war sie doch sonst immer so stolz darauf, über diesen Dingen zu stehen. Aber das hier war seltsam und machte sie nervös. Schließlich war Caleb Florence noch am Sonntag zuvor ausgewichen ...
Als der Reverend seine Gemeinde schließlich entließ, gesellte Kura sich zu Lainie, William und Tim. Die drei plauderten am Rande des Geschehens, während Tim auf Roly wartete. Der Bursche flirtete noch auf dem Friedhof mit der kleinen Mary Flaherty. Tim sah es gelassen. Er hatte bereits auf dem Wagen Platz genommen, lachte mit Lainie und strahlte vor Stolz. Der heutige Sonntagsgottesdienst war ihre Generalprobe gewesen, und Tim schaffte es mühelos, die Kirche auf eigenen Beinen zu durchschreiten.
»Jetzt noch ein paar Tanzschritte, Lainie, dann kann die Trauung steigen. Überleg nicht so lange! Am 15. September geht ein Schiff nach London – ein Dampfer. Wir wären in höchstens sechs Wochen in England.«
Elaine sagte nichts dazu. Tatsächlich verfolgten auch ihre Augen eher Caleb Biller und Florence We b e r.
»Was läuft da zwischen den beiden?«, fragte sie Kura. »Ich kann mir nicht helfen, aber das sieht verdammt offiziell aus!«
William folgte seiner Frau und Lainies Blick.
»Das sieht gefährlich aus. Aber schau, jetzt kommt er. Halt dich im Zweifelsfall bloß zurück, Kura! Was immer du tust, die Stadt wird es als Eifersucht auslegen ...«
Caleb Biller hatte sich tatsächlich von Florence gelöst und kam mit gesenktem Blick auf die Gruppe zu. Vielleicht wählte er gerade diese Situation, um nicht mit Kura und William allein zu sein. Florence schaute ihm ein wenig besorgt, vor allem aber triumphierend hinterher.
»Kura, William, Lainie ... wie geht’s, Tim?«
Tim lächelte. »Ich würde sagen, mir geht es besser als Ihnen. Sie haben sich am Arm Ihrer Florence ganz schön durch die Kirche geschleppt.«
»Seit wann ist sie ›seine Florence‹?«, fragte Kura.
Caleb errötete. »Nun, wie soll ich es sagen ... also, Florence und ich haben uns gestern verlobt.«
Für William kam das nicht sonderlich überraschend. Erst recht nicht für Tim. Die Mädchen dagegen starrten Caleb fassungslos an.
»Es ist so, Kura, dass ich mit ihr geredet habe«, sagte Caleb in das peinliche Schweigen. »Wir haben uns sozusagen ausgesprochen. Und es macht ihr nichts aus.«
»Was macht ihr nichts aus? Dass du ein warmer ...«
»Kura, bitte!«, fiel William ihr ins Wort.
»Florence meint, sie würde mir in unserer Ehe alle Freiheiten geben, wenn ich sie dafür ... na ja, ein bisschen mehr an der Minenleitung beteilige, als es für Frauen üblich ist ...«
»Sie wird es zweifellos hervorragend machen«, sagte Tim freundlich. »Da kann man die Biller-Mine nur beglückwünschen. Sie selbst sehen allerdings nicht so glücklich aus.«
»Na ja, wie das so ist ...«, meinte Caleb vage. »Aber ich kann mich weiterhin all meinen ... Interessen widmen. Der Musik, der Kunst, der Maori-Kultur. Da interessiert mich ja nicht nur die Musik, wie du weißt, Kura. Ich werde sozusagen ... als Privatgelehrter ...«
»Sehr schön«, unterbrach William entschlossen Calebs Gestammel. »Wir sprachen neulich schon darüber. Jeder sollte so leben, wie er es sich wünscht. Vielleicht werden Sie ja auch weiterhin für Kura Lieder arrangieren. Herzlichen Glückwunsch. Aber Sie lassen uns doch nicht im Stich mit dem Konzert in Blenheim, Caleb? Da verlassen wir uns auf Sie, so schnell kriegen wir keinen Ersatz.«
Caleb biss sich auf die Lippen. Er kämpfte sichtlich mit sich; dann aber schüttelte er den Kopf.
»Es tut mir leid ... Kura, William. Aber ich kann das nicht. Ich habe es versucht, wirklich, aber ihr hört es doch selbst, ich treffe kaum noch einen richtigen Ton. Die Nervosität frisst mich auf. Ich bin dafür nicht geschaffen. Und Florence meint auch ...«
»Schieb es ruhig auf Florence!«, sagte Kura zornig. »Dann brauchst du nicht zuzugeben, dass du nicht nur ein warmer Bruder bist, sondern obendrein ein Feigling. Vor allem ein Feigling! Das andere wäre
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