Das Lied der Maori
Mann hätten sie im Grunde gleich wieder entlassen können. Der Blutverlust ist nicht der Rede wert. Aber er ist geistig umnachtet. Sie haben ihn ruhig gestellt. Sobald die Wirkung des Mittels aufhört, schlägt er wieder um sich. Er kommt heute noch in eine Anstalt, die auf solche Fälle spezialisiert ist. Die Frau wird wohl nach Hause fahren – da sind ja auch noch unangenehme Dinge zu regeln, wenn ich Dr. Mattershine richtig verstanden habe. Aber ich ersticke an meiner Neugier! Was haben die Leute mit Ihnen zu schaffen, Miss Keefer?«
Elaine schwieg, und Tim schilderte ihm die Vorgeschichte in groben Zügen. »Wir hätten nie gedacht, hier auf die Sideblossoms zu treffen. Aber so etwas nennt man wohl Fügung.«
Redcliff lachte. »Die Geister haben es so gewollt! Und sie haben Sie gerächt, Miss Lainie, wenn ich das mal so sagen darf. Zumindest brauchen Sie sich vor dem Mann nicht mehr zu fürchten. Wer einmal in so einer Anstalt ist, kommt so leicht nicht wieder raus. Und wenn sie doch mal einen entlassen, ist er nur noch eine leere Hülle. Wir hatten mal so einen Fall in der Familie. Wenn Sie in die Hände der Irrenärzte geraten, können Sie gleich mit dem Leben abschließen. Das ist schlimmer als Gefängnis!«
Wir werden sehen, dachte Elaine. Sie liebte Tim, aber im Moment wünschte sie sich nur zurück nach Queenstown, in die Arme ihrer Mutter Fleurette, in die Ordnung in Grandma Helens Pension und ins fröhliche Chaos auf Nugget Manor. Der Albtraum der Trennung von ihrer Familie war immerhin zu Ende. Sobald sie in Greymouth waren, würde sie ihren Eltern telegrafieren.
8
Elaine beugte sich mit gerunzelter Stirn über die Nähmaschine und versuchte, den Faden über den komplizierten Weg zwischen Garnrolle und Nadel zu führen. Das Garn war eben zum dritten Mal gerissen, und sie kam langsam zu dem Ergebnis, dass sie keinerlei Begabung zur Schneiderin besaß. Aber das hatte sie mit der Mehrzahl von Madame Clarisse’ Mädchen gemeinsam. In den letzten Tagen versuchten sie sich alle an der Neuerwerbung ihrer rührigen Zuhälterin. Es hatte zu Williams letzten Anstrengungen in Greymouth gehört, Madame Clarisse seine Demonstrationsmaschine zu besonders günstigen Konditionen abzutreten. »Das könnte den Mädchen den Weg zurück in ein ehrliches Leben ebnen!«, behauptete er salbungsvoll. Madame Clarisse probierte das Ding daraufhin aus und kam zu dem Schluss, dass nichts ihre Mädchen sicherer im Pfuhl der Sünde halten würde als die Aussicht auf ein Leben mit der Singer.
Elaine zerriss einen weiteren Faden und fluchte.
»Kannst du mir nicht zeigen, wie es geht?«, wandte sie sich an Tim. »Du bist doch Techniker.«
Tim lehnte am Klavier im Schankraum des Pubs und übte sich im Dartspielen. Es war nicht leicht, ohne Krücken das Gleichgewicht zu halten, doch er entwickelte auch nicht allzu viel Ehrgeiz. Die meisten seiner Pfeile gingen daneben.
»Liebes, ich hab’s doch schon mal versucht«, meinte er gutmütig. »Aber ich werde mit dem Ding auch nicht fertig. Allerdings könnte ich es vielleicht nachbauen.«
Tim hätte inzwischen einiges darum gegeben, überhaupt etwas bauen zu dürfen. Er sehnte sich nach einer Aufgabe, die ihn geistig mehr forderte als das tägliche Training seiner Beine, das ihn obendrein zur Verzweiflung trieb, weil es kaum noch vorwärtsging. Er hoffte, eines Tages ohne Schienen laufen zu können, aber es würde niemals ohne Krücken und niemals länger als ein paar hundert Meter gehen. Das Bewusstsein, an seine Grenzen zu stoßen, nahm ihm bei den täglichen Übungen den Mut.
»Dann hätten wir ja zwei von diesen Maschinen! Bloß nicht. Ich glaube, ich werde die Kleidchen für das Kind lieber kaufen. Oder strickt man nicht Babyjäckchen?« Elaine schien vor einer ihrer periodisch auftretenden Begeisterungsphasen für hausfrauliche Betätigungen zu stehen. Auf jeden Fall suchte auch sie verzweifelt nach irgendeiner Beschäftigung, die sie von ihren Ängsten und Grübeleien ablenkte.
Tim ließ das Dartspielen sein und schloss sie in die Arme.
»Ich wünschte, es würde endlich etwas passieren«, seufzte er dabei. »Dieses Warten macht mich wahnsinnig. Sie müssten in Otago doch mal zu einem Ergebnis kommen. Wenn dieser Prozess erst stattfände ... Und mit der Mine geht es auch nicht voran. Es gibt da wohl irgendeinen Interessenten für die Beteiligung, meint Matt, aber all das zieht sich endlos hin.«
»Andere Leute dagegen haben es eilig mit dem Heiraten!«, bemerkte
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