Das Lied der Maori
Wallache, die im Umgang praktischer waren. Dieser hübsche Kerl hier schien allerdings perfekt erzogen. Er wagte kaum zu bubbern, als Elaine Banshee vorbeiführte. Nun war die Stute allerdings auch schon gedeckt; sie würde bald ihr Fohlen von Owen bekommen.
Der Wallach, unzweifelhaft arabischer Abstammung, stand dem Hengst an Schönheit kaum nach, wahrscheinlich ein Sohn oder ein Bruder. Es war unwahrscheinlich, dass jemand zwei einander so ähnliche Tiere unabhängig voneinander gekauft hatte. Also zwei Reiter, die zusammengehörten? Elaines Neugier war geweckt. Sie musste Grandma Helen danach fragen.
Elaine nahm den direkten Weg zwischen Stall und Haus und klopfte sich in den Wirtschaftsräumen nur rasch Staub und Pferdehaar vom Reitkleid. Umziehen würde sie sich nicht. Egal, ob sie in der Küche oder im Laden half, sie wollte bei niemandem Eindruck machen. Auch ihr Haar hatte sie nur nachlässig im Nacken zusammengebunden. Nach wie vor achtete Elaine kaum auf ihr Äußeres.
An der Rezeption wartete ein Zwilling und langweilte sich offensichtlich mit der Führung eines Wareneingangsbuches.
»Oh, hallo, Miss Lainie! Und Callie!« Die blonde Frau lachte Elaine strahlend an und streichelte die Hündin, die sofort schwanzwedelnd an ihr hochsprang. Elaine war überzeugt, dass Callie die Zwillinge auseinanderhielt. Sie selbst musste allerdings wieder einmal raten. Mal sehen ... Grandma sagte, Mary sei die Aufgeschlossenere. Also würde eher sie an der Rezeption sitzen, während Laurie kochte ...
»Hallo, Mary!«, versuchte sie ihr Glück.
Der Zwilling kicherte. »Laurie. Mary hilft im Laden. Und dabei haben wir hier sooo viel zu tun. Miss Helen hat viele Gäste, wir müssen kochen. Aber jetzt sind Sie ja da. Miss Helen sagt, Sie sollen die Rezeption übernehmen, und ich gehe dann schon mal in die Küche ...«
Elaine gefiel das nicht. Sie machte die Arbeit an der Rezeption nicht mehr gern; andererseits konnte sie auch kaum allein mit dem Kochen anfangen. Sie wusste ja nicht einmal, was Helen anbieten wollte. Also nahm sie gehorsam Lauries Platz ein. Callie folgte Laurie in die Küche; da fiel schließlich meist ein Leckerbissen für sie ab.
Immerhin konnte Elaine hier ihre Neugier befriedigen. Die neuen Gäste mussten sich ja eingetragen haben, also würde sie rasch herausfinden, wer zu den Pferden im Stall gehörte ...
John und Thomas Sideblossom.
Elaine musste beinahe lachen. Wenn ihre Mutter wüsste, dass sie hier geradewegs in die Höhle des Löwen geraten war! Sie kannte die alten Geschichten um John Sideblossom und ihre Familie, nahm das alles aber nicht sonderlich ernst. Immerhin war es zwanzig Jahre her – für die junge Elaine eine halbe Ewigkeit. Jedenfalls kein Grund für Fleurette, heute noch beunruhigt darüber zu sein. Elaine hatte Sideblossom auch schon mal von weitem gesehen und ihn gar nicht so Furcht erregend gefunden. Ein großer, muskulöser Mann mit wettergegerbter Haut und halblangem, ehemals dunklem Haar, in das sich jetzt schon viel Weiß mischte. Der Haarschnitt war ein bisschen unkonventionell, aber sonst ... Elaines Mutter sprach gern von seinen »kalten Augen«, aber so nah war Elaine ihm nie gekommen. Und Fleurette in den letzten zwanzig Jahren erst recht nicht. Sie verschanzte sich stets in Nugget Manor, wenn sie nur von seinem Kommen hörte.
Elaine vernahm Schritte auf dem terrassenähnlichen Vorbau des Hotels und erstarrte. Am liebsten hätte sie sich unsichtbar gemacht, aber sie musste lächeln und die Gäste in Empfang nehmen. Sie senkte den Blick, als das hübsche bunte Windspiel, das Helen am Eingang ihrer Pension aufgehängt hatte, das Eintreten eines Gastes ankündigte.
»Guten Abend, Miss Lainie! Schön, Sie wieder mal hier zu sehen!«
Gott sei Dank, es war nur Mr. Dipps, der ältere der beiden Bankangestellten. Elaine nickte ihm zu.
»Sie sind früh, Mr. Dipps«, bemerkte sie und suchte nach seinem Schlüssel.
»Ich muss nachher noch in die Bank. Mr. Stever möchte über einen Kredit reden, und zu den normalen Öffnungszeiten kann er angeblich nicht kommen, da muss er sich um sein Vieh kümmern. Selber schuld, wenn er keine Leute ganzjährig anstellt. Jetzt jammert er, seine Maoris zögen weg. Na ja, jedenfalls mache ich nachher Überstunden, da bin ich jetzt ein bisschen früher gegangen. Wäre es wohl möglich, das Badehaus zu besuchen, Miss Lainie? Oder macht es zu viel Mühe?«
Elaine zuckte die Schultern. »Ich kann Laurie fragen, aber die Zwillinge haben
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