Das Lied der Maori
bestimmt nicht der Typ, der an einer Hotelrezeption über ein minderjähriges Mädchen herfällt.«
Ruben lachte. »Fleur traut ihm alles zu. Aber vielleicht kommt Lainie ja noch am Nachmittag. Zu Hause muss ihr schließlich die Decke auf den Kopf fallen. Und Klavier spielen mag sie ja auch nicht mehr ...« Er seufzte.
Helens Gesicht wurde grimmig. »Ich bin ja nicht gewalttätig, aber diesem William Martyn wünsche ich die Pest an den Hals! Lainie war ein so lebenslustiges, glückliches kleines Ding ...«
»Sie wird schon darüber hinwegkommen«, meinte Ruben. »Und was die Pest angeht: Georgie meint, William hat sie schon. Er hält die Ehe mit Kura Warden für so ziemlich das Schlimmste, was einem Mann passieren kann. Muss ich mir jetzt Sorgen um ihn machen?«
Helen lachte. »Vielleicht beweist er Scharfsinn. Hoffen wir, dass er sich den Sinn für innere Werte erhält, bis er im heiratsfähigen Alter ist. Schick mir Lainie rüber, wenn sie kommt, ja? Sie kann die Rezeption bewachen, ich muss mich um das Essen kümmern. Die beiden Sideblossoms werden anwesend sein, da kann ich keine Gemüsesuppe servieren ...«
Elaine kam tatsächlich am Nachmittag in die Stadt. Sie hatte einen Ausritt zu einer Schaffarm in der Nähe gemacht, um Callie zu trainieren. Der Border Collie brauchte Schaf-Erfahrung, und da es auf Nugget Manor zurzeit keine Wolltiere gab, ritt Elaine zu den Stevers. Fleurette sah das eigentlich nicht sehr gern. Die Stevers, deutsche Einwanderer, waren verschlossene Leute, die sich nur selten in Queenstown blicken ließen und keine gesellschaftlichen Kontakte pflegten. Mr. und Mrs. Stever waren im mittleren Alter, und Fleurette fand, dass die Frau unglücklich und verhärmt wirkte. Elaine konnte dazu nichts sagen. Sie traf praktisch nie mit den Besitzern der Farm zusammen, sondern hatte nur mit ihren Viehhütern Kontakt. Die wiederum bestanden fast ausschließlich aus Maoris.
Auf der Farm war seit einigen Wochen ein Stamm ansäs sig, der Elaine mit der üblichen Gutmütigkeit und Callie mit dem gelassenen Pragmatismus ihres Volkes willkommen hieß. Hund und Mädchen fielen nicht zur Last und waren hilfreich, folglich luden sie Elaine auch oft zum Essen oder zu ihren Stammesfesten ein oder gaben ihr Fische und Süßkartoffeln für ihre Mutter mit. Seit der Sache mit William war Elaine häufiger mit den Maoris zusammen als mit Gleichaltrigen in der Stadt, was Fleurette allerdings ohne Besorgnis registrierte. Auch sie selbst war mit Maori-Spielgefährten aufgewachsen, sprach ihre Sprache perfekt und begleitete Elaine sogar manchmal zu ihren neuen Freunden, um ihre Kenntnisse aufzufrischen. Seitdem kamen die Maoris öfter in die Stadt und kauften im O’Kay Warehouse – worüber sich nun wieder Mrs. Stever beschwerte. Neuerdings wollten ihre Leute mehr Geld, erklärte sie bei einem ihrer seltenen Besuche in Queenstown. Früher hatten sie die Viehhüter und Hausmädchen wohl in Naturalien entlohnt und dabei kräftig über den Tisch gezogen.
Heute hatte es bei den Maoris auf Stever Station allerdings wenig zu tun gegeben, und noch schlimmer: Eins der Mädchen des Stammes hatte Elaine verraten, dass eine Wanderschaft geplant war. Die Schafe der Stevers seien jetzt schließlich den Sommer über im Hochland, und Mr. Stever war geizig; er beschäftigte seine Leute nur tageweise, wenn er sie gerade brauchte. Insofern würde der Stamm ein paar Monate wegziehen, im Hochland fischen und jagen und erst im Herbst zurückkehren, zum Abtrieb der Schafe. Das gehörte zur Tradition der Maoris, und sie schienen sich sogar darauf zu freuen. Aber Elaine und Callie stand damit ein trister Sommer bevor.
Nun suchte sie dringend Beschäftigung; gerade an diesem Tag wollte sie auf keinen Fall ins Grübeln geraten. Schließlich fand heute die Hochzeit statt ... Irgendwie war es ja rührend von ihrer Mom gewesen, sie nicht über den genauen Zeitpunkt zu informieren, aber natürlich hatte Elaine es trotzdem herausgefunden. Es schmerzte auch gar nicht mehr so sehr. Wenn sie vernünftig gewesen wäre, hätte sie sich niemals Hoffnungen gemacht. Gegen ein Mädchen wie Kura konnte sie nur verlieren.
Von solch trüben Gedanken erfüllt, brachte sie Banshee in den Stall ihrer Großmutter und fand dort zu ihrer Überraschung zwei fremde Pferde vor, eines schöner als das andere! Beides waren Rappen, ein Wallach und ein Hengst, was ungewöhnlich war. Die meisten Farmer, selbst die reichen Schafbarone, bevorzugten Stuten und
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