Das Lied der Maori
auf Hausfrauenpflichten, als die Sideblossoms ihren Aufenthalt in Queenstown verlängerten. Von der sich anbahnenden Beziehung zwischen Thomas und Elaine ahnte nur Helen, der die häufigen Begegnungen der beiden ebenso wenig verborgen blieben wie Elaines erste Veränderungen. Natürlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie hier offensichtlich Heimlichkeiten Vorschub leistete. Andererseits sah sie Elaine endlich wieder mal lachen, stellte fest, dass sie hübschere Kleider trug und ihr Haar erneut bürstete, bis es glänzte und um ihr Gesicht wogte. Dass sie den Kopf nach wie vor senkte, wenn sie mit Thomas sprach, dass sie einsilbig blieb und jedes Wort auf die Goldwaage legte, fiel Helen nicht auf. Zu ihrer Zeit in England hatten sich alle Mädchen so verhalten; sie hatte Elaines offenen Umgang mit William eher ein bisschen anstößig gefunden. Für Helen fiel auch der Vergleich von Thomas Sideblossom mit William positiv aus. Natürlich war William charmant und wortgewandt gewesen, aber auch schnell beleidigt und impulsiv. Helen hatte sich bei den Tischgesprächen mit ihm immer ein bisschen gefühlt, als bewache sie ein Pulverfass. Thomas dagegen war zurückhaltend und höflich, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle. Wenn er mit Elaine ausritt, hielt er ihr den Steigbügel; beim sonntäglichen Kirchgang, dem die Sideblossoms sich selbstverständlich anschlossen, wechselte er nur ein paar artige Worte mit dem Mädchen, und nicht einmal Fleurette fiel das freundschaftliche Verhältnis der beiden auf. Die hatte allerdings auch genug damit zu tun, sich möglichst unsichtbar zu machen. Ruben und Fleurette O’Keefe kamen nicht einmal in die Nähe der Sideblossoms. Entsprechend verwundert waren die beiden, als Thomas Elaine nach dem Gemeindepicknick zu einer Bootsfahrt aufforderte. Wie immer vermietete der findige Förderverein, der eifrig für den Bau einer neuen Kirche sammelte, Ruderboote an verliebte Pärchen.
»Ich habe Ihre Tochter in der Pension von Miss Helen kennen gelernt und würde mich geehrt fühlen, wenn ich ihr eine kleine Freude machen könnte.«
Elaine lief umgehend rot an – zu genau standen ihr noch ihre letzten Vergnügungen mit William vor Augen.
Fleurette sah aus, als wollte sie rüde ablehnen, doch Ruben legte ihr die Hand auf den Arm. Die Sideblossoms waren gute Kunden, und insbesondere Thomas’ Benehmen hatte nie zu Klagen Anlass gegeben. Es gab keinen Grund, ihn zu brüskieren. Während Fleurette sofort anfing, sich mit ihrem Mann darüber zu streiten, führte Thomas die nervöse Elaine mit Erlaubnis ihres Vaters zum nächsten Ruderboot. Elaine fiel gar nicht auf, dass er sie nicht gefragt hatte, ob sie überhaupt Lust hatte, und dass er sie auch nicht – wie William – die Farbe des Bootes wählen ließ. Thomas steuerte einfach das nächste Boot an und half ihr galant beim Einsteigen. Elaine, von ihren Gefühlen und Erinnerungen überwältigt, brachte während der ganzen Fahrt kein Wort heraus, sah dabei aber sehr hübsch aus. An diesem Sonntag trug sie ein hellblaues Seidenkleid und hatte passende blaue Bänder in ihr Haar geflochten. Sie hielt das Gesicht meist von Thomas abgewandt und schaute ins Wasser. Thomas hatte Zeit, ihr Profil zu bewundern, und kämpfte erneut mit Erinnerungen. Emeres Umrisse im Mondlicht wie ein Schattenspiel ... Auch sie niemals Auge in Auge mit dem Mann, der sie nahm ... Im Sonnenlicht erschien das alles unwirklich. Doch wenn Thomas eine Frau nahm, musste er sich ihr auch bei Tage stellen. Sie würde immer da sein, nicht nur, um seine Nächte zu erfüllen und seine dunklen Träume zu beleben. Aber Elaine war still und leicht einzuschüchtern.
Es dürfte einfach sein, sie ruhig zu halten. Vorsichtig begann er, von der Sideblossom-Farm am Lake Pukaki zu sprechen.
»Das Haus hat einen wunderschönen Blick auf den See, und es ist vom Stil her durchaus mit Kiward Station zu vergleichen, wenn auch nicht gar so groß. Wir lassen die Gartenanlagen pflegen, Hauspersonal ist ausreichend vorhanden ... auch wenn Zoé meint, die Maoris wären schlecht geschult. Sie gibt sich alle Mühe, das nachzuholen, aber eine zweite Frau im Haus wäre durchaus ein Gewinn für Lionel Station.«
Elaine biss sich auf die Lippen. Sollte das ein Antrag sein? Oder ein vorsichtiges Vorfühlen? Sie wagte einen Blick in Thomas’ Gesicht und deutete den Ausdruck seiner Augen als ernst, beinahe ein wenig ängstlich.
»Ich ... habe gehört, die Farm läge sehr ... einsam«, bemerkte
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