Das Lied der Maori
Blicken aus unergründlichen, ausdruckslosen dunklen Augen.
Elaine begrüßte sie so herzlich, wie es ihr nach dieser Reise noch möglich war. Sie musste zumindest zum Personal ein gutes Verhältnis aufbauen; ganz ohne Freunde wäre sie auf Lionel Station verloren.
Thomas ließ ihr allerdings keine Zeit für eine gründliche Einführung.
»Komm, Elaine, ich zeige dir unsere Wohnung. Ich habe den Westflügel für uns herrichten lassen. Zoé war so freundlich, bei der Einrichtung zu helfen.«
Elaine, die nach der ersten erholsamen Nacht nicht mehr gefügig und verschreckt war, sondern sich über die Behandlung ärgerte, die ihr zuteil wurde, folgte ihm missmutig.
Thomas verhielt vor dem Eingang; eine Tür zum Westflügel ging von der großzügig gestalteten Eingangshalle ab.
»Soll ich dich über die Schwelle tragen?«, fragte er grinsend.
Elaine spürte Wut in sich aufsteigen.
»Heb dir die Romantik für intimere Stunden auf!«, gab sie heftig zurück.
Thomas blickte sie verwundert an; dann wurde sein Blick wachsam, und Zorn blitzte in seinen Augen auf. Ungewohnt mutig erwiderte Elaine den funkelnden Blick.
Wie erwartet wimmelte es im Westflügel vor Blütenvolants und dunklen, gedrechselten Möbeln. Beides entsprach nicht Elaines Geschmack. Normalerweise wäre ihr das ziemlich egal gewesen; sie beschäftigte sich sowieso lieber draußen, als im Haus herumzusitzen, und wenn sie ein interessantes Buch las, nahm sie die Umgebung kaum wahr. Aber jetzt brachte es sie auf.
»Kann ich an der Einrichtung etwas ändern, wenn sie mir nicht gefällt?«, fragte sie, wobei ihr Tonfall aggressiver geriet, als sie es eigentlich gewollt hatte.
»Was gefällt dir denn hier nicht?«, erkundigte sich Thomas. »Die Einrichtung zeugt von bestem Geschmack, da waren sich bisher alle Betrachter einig. Natürlich kannst du deine Möbel aufstellen, aber ...«
»Vielleicht habe ich keinen besonders erlesenen Geschmack, aber ich sehe gern die Hand vor Augen!«, erklärte Elaine und schob die schweren Vorhänge vor einem der Fenster resolut zur Seite. Sie brauchte dazu einige Kraft, denn Zoé bevorzugte voluminöse Samtkreationen, welche die Außenwelt völlig ausschlossen. »Zumindest das hier muss weg!«
Thomas sah sie an, und sein Blick schien sie zu bannen. Hatte sie wirklich noch vor einer Woche Verletztheit hinter seinem undurchdringlichen Gesichtsausdruck vermutet? Inzwischen hatten seine Geheimnisse sich enthüllt. Vielleicht hatte Thomas sich als kleiner Junge wirklich verlassen und einsam gefühlt, aber jetzt hatte er einen Weg gefunden, zu bekommen, was er wollte.
»Mir gefällt es«, sagte er gereizt. »Ich lasse deine Sachen hereinbringen. Sag den Leuten möglichst gleich, wo du was hinstellen möchtest.« Damit wandte er sich ab und entließ eine gedemütigte und verängstigte Elaine, denn die Drohung in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen.
Was machte sie jetzt bloß mit einer ganzen Wagenladung an Aussteuer? Und wegen der Auseinandersetzung hatte Thomas nicht einmal die Gelegenheit gehabt, sie in der gemeinsamen Wohnung herumzuführen. Verzweifelt schaute Elaine sich um.
»Kann ich Madame helfen?«, fragte eine gezierte, sehr junge Stimme vom Eingang her. »Ich bin Pai, Ihre Zofe. Das soll ich jedenfalls sein, meint Miss Zoé, wenn es Ihnen beliebt ...«
Elaine blickte verwirrt. Sie hatte nie zuvor eine Zofe gehabt. Wozu brauchte man so jemanden? Die kleine Pai schien es auch nicht genau zu wissen. Sie war höchstens dreizehn Jahre alt und wirkte verloren in ihrer schwarzen Dienstmädchenuniform mit dem weißen Schürzchen und Häubchen. Und diese förmliche französische Anrede! Offensichtlich hatte Zoé ihrer »Stief-Schwiegertochter« das Mädchen geschickt, das sie im Haushalt am ehesten entbehren konnte. In Elaine erwachten erneut Zorn und Trotz. Aber Pai konnte ja nichts dafür. Das Mädchen wirkte unschuldig und sympathisch mit seinem breitflächigen, ungewöhnlich hellen Gesicht und dem dicken schwarzen Haar, dessen strenge Zopffrisur seinen herzförmigen Ansatz betonte. Es war sicher keine reinrassige Maori, sondern ein Mischling wie Kura, allerdings bei weitem keine so außergewöhnliche Schönheit.
Elaine lächelte. »Das freut mich.
Kia ora
, Pai! Sag, kennst du dich hier aus? Die Männer bringen gleich einen Berg Sachen herein, und wir müssen irgendetwas damit anstellen. Haben wir ... habe ich noch andere Dienstboten?«
Pai nickte eifrig. »Ja, Madame, noch ein Hausmädchen. Rahera.
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