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Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynne Wilding
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umzusehen. Grüne Weiden, von Bäumen und Sträuchern befreit, erstreckten sich bis zum Meer hinunter, und das Land war mit grasenden Kühen gesprenkelt. Es war schön hier. Der Inbegriff der Ruhe. Früher wäre sie zur Küste gerannt und zurück, ohne nur ein bisschen ins Schwitzen zu geraten. Sie fuhr sich mit nicht allzu sauberen Fingern durch das Haar, das am Ansatz feucht war, und kämmte die kastanienbraunen Locken. Jetzt nicht, gab sie zu. Vielleicht wäre sie den Hügel hinuntergekommen, aber nicht wieder hinauf. Eindeutig nicht.
    Jessica ging zu der halb verrosteten Schubkarre, die sie am Ende des hinteren Gartens gefunden hatte, und füllte sie mit Unkraut und Grasbüscheln. Danach schob sie die Karre zum Seitentor und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu. Sie war fast fertig.
    Die Nachmittagssonne warf durch die Bäume ihre Strahlen auf ihre Haut, als sie plötzlich stillstand, weil sie ganz unvermittelt zu frieren begann. Schnell breitete sich Gänsehaut auf ihren Unterarmen aus, und die Nackenhaare stellten sich ihr auf. Im nächsten Moment stockte ihr der Atem und wurde ungleichmäßig. Ihr Puls jagte, ihr Herz klopfte … ihr Körper versteifte sich.
    Sie wurde beobachtet.
    Jessica spürte, wie sie von der anderen Straßenseite gegenüber der Hütte, wo das Gebüsch sehr dicht war, Augen betrachteten, neugierige, kritische Augen. Aber sie hätte nicht sagen können, was sie darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sie beobachtet wurde. Vielleicht war es zuerst das abrupte Schweigen im Busch gewesen, in dem die Vögel aufhörten zu zwitschern, oder weil die leichte Brise, die sie beim Arbeiten kühlte, auf einmal aussetzte.
    Die Stille und die Reaktion ihres Körpers machten sie nervös. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl.
    Du machst dich lächerlich , schalt sie sich selbst. Wer sollte sich denn die Mühe machen, dir nachzuspionieren? Und um sich ihre Dummheit zu beweisen, wandte sie sich zu den Büschen an der Lichtung um. Angestrengt glitten die blauen Augen den Waldstreifen ab, bemüht, eine Bewegung, eine Farbe, das Beben eines Zweiges oder irgendetwas anderes zu entdecken, das ihre Wahrnehmung beweisen würde. Nichts. Doch das eindringliche Gefühl, dass jemand ihr Tun beobachtete, blieb bestehen.
    Na und? Ignoriere es , befahl ihr eine Stimme in ihrem Kopf. Wahrscheinlich sind es Kinder, irgendwelche Tee n ager, die versuchen, dich aus der Fassung zu bringen.
    Im nächsten Moment traf ihren Körper ein Windstoß, der so kalt war, dass er ihren ganzen Körper erzittern ließ. Danach herrschte wieder Stille. Durchdringend. Erstickend. Und außerdem war da noch etwas, ein Geruch, den sie nicht identifizieren konnte. Süßlich, wie Blumen, und doch – sie sah sich im Garten um – außer den Kletterrosen, die keinen Duft hatten, blühten im Moment keine Blumen. Wie außerordentlich merkwürdig!
    Erinnerungsfetzen aus ihrer beruflichen Laufbahn schossen ihr durch den Kopf, von Voyeuren und Spannern bis zu den gefährlicheren Stalkern, die Frauen nachstellten, und von freigelassenen Vergewaltigern. Nur mit Mühe brachte sie die beunruhigenden Vorstellungen unter Kontrolle.
    Jessica fuhr sich mit der rechten Hand über die Stirn, wobei sie feststellte, dass ihre Finger zitterten. Spielte ihr ihre Fantasie einen Streich? Um Gottes willen, sagte sie sich, da ist niemand. Erneut spähte sie in das dunkle Grün und forderte denjenigen, der sich dort versteckte, in Gedanken auf, sich zu zeigen. Doch niemand erschien.
    Konnte es sein, dass sie einen Sonnenstich hatte?
    Sie geriet immer mehr durcheinander, obwohl dazu kein offensichtlicher Grund vorlag, daher wandte sie sich von dem ungejäteten Gartenbeet ab. Nur ein paar Minuten brauchte sie, um ihre Geräte zusammenzusuchen. Dann ging sie hinein und verschloss die Vordertür hinter sich. Mehrere Minuten lang lehnte sie an dem kühlen Holz, lauschte dem schweren Schlag ihres Herzens und stellte fest, dass ihre Beine so zitterten, dass sie unter ihr nachzugeben drohten. Was zum Teufel war nur mit ihr los?
    War sie verrückt? War das das erste – nun, vielleicht nicht einmal das erste – Anzeichen dafür, dass sie geistesgestört war? Dieser Gedanke traf sie wie ein Schlag. War ihr Zusammenbruch nur der Anfang gewesen? Aber der Anfang von was? Paranoia? Weitere psychische Störungen? Demenz? Würde sie enden wie ihr Großvater?
    Den Anblick, wie er in einer Zwangsjacke abtransportiert wurde, hatte sie nie vergessen können. Mit wirrem Blick und wirrem

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