Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Bridget hatte eine fiebrige Erkältung, und Ma, die alte Glucke, hatte sie wieder ins Bett geschickt. Sarah wusste, dass Seamus das nicht gefallen würde. Aber auch wenn der grantige ehemalige Seemann versuchte, sein weiches Herz zu verbergen, hatte er Bridget mit dem feinen schwarzen Haar, der schlanken Gestalt und dem hübschen Lächeln sehr gern. Sarah vermutete sogar, dass er ziemlich in die achtzehn Jahre jüngere Bridget verschossen war. Selbst wenn diese die Möglichkeit offiziell lautstark ablehnte, war ihr doch nicht entgangen, dass ihre Zimmergenossin jedes Mal erfreut aufblickte, wenn ihr Arbeitgeber in das Vorratslager seines Laden kam, wo sie beide arbeiteten.
Sarah Flynn war so ziemlich das Gegenteil von Bridget. Das war wahrscheinlich einer der Gründe dafür, dass sie so gut miteinander auskamen.
Für ein Mädchen von siebzehn war sie ungewöhnlich groß gewachsen, sie konnte den meisten Männern gerade in die Augen blicken. Ihr leuchtend rotes Haar, das ihr Vater einst als rotbraun bezeichnet hatte, das die meisten anderen Menschen jedoch kupferrot nannten, war dicht und glänzend. Trotz ihrer Versuche, es nach der neuesten Mode zu frisieren, sprangen unvermindert störrische Locken hervor und kringelten sich ihr ins Gesicht. Klare blaue Augen blickten gesund und zuversichtlich in die Welt und sagten allen, die klug genug waren, ihren Ausdruck zu deuten, dass sie sich nichts vormachen ließ. In den fünf Jahren, in denen sie bei O'Toole arbeitete, war sie von einem niedrig bezahlten Ladenmädchen zur Assistentin ihres Arbeitgebers aufgestiegen, eine Leistung, auf die sie außerordentlich stolz war.
Das Leben war nicht immer so gut gewesen für Sarah Flynn. In Armagh County, wo sie geboren war, hatte sie mit ihren Eltern, Mary und Robbie Flynn, und ihrem älteren Bruder Paddy eine kleine Farm bewirtschaftet, die dem Großgrundbesitzer Sir Godfrey LeStrange gehörte, wie es Tausende von Familien in ganz Irland taten. Das Alltagsleben auf dem Land war hart, durch die ständige Bepflanzung war der Boden ausgelaugt. Im Winter 1842 hatte sich Robbie Flynn erst eine Erkältung, dann eine Lungenentzündung zugezogen, und trotz der kundigen Pflege ihrer Mutter, die für eine schlichte Bauersfrau erstaunliche Kenntnisse in der Heilkunde hatte, war er eine Woche später gestorben.
Die restlichen Flynns versuchten, die Farm alleine weiter zu betreiben. Paddy, der damals sechzehn und schon erwachsen war, mühte sich redlich, Essen auf den Tisch zu bringen und genügend Geld aufzutreiben, um die Pacht zu zahlen. Irgendwie schaffte die Familie es, bis das nächste Frühjahr kam.
Dann konnten die Flynns, wie so viele Menschen in ganz Irland, zwei Wochen hintereinander das Geld für die Pacht nicht aufbringen. Und prompt kam Sir Godfreys Verwalter mit Gerichtspapieren bewaffnet und unterstützt von zwei Mitgliedern der örtlichen Polizei angeritten und vertrieb sie aus dem einzigen Heim, das Sarah je gekannt hatte.
Nach ihrer Ankunft in Dublin wartete Paddy nur so lange, bis seine Mutter und seine Schwester untergebracht waren – Mary fand eine Anstellung als Haushälterin bei einem Arzt namens Shaun Bryant –, dann heuerte er als Schiffsjunge auf der Lady Mantilla an, einer alten spanischen Barke, die nach Amerika auslief. Er versprach zu schreiben, was er jedoch nicht tat, und träumte davon, sich in Amerika niederzulassen und ihnen das Geld für die Reise zu schicken. So begann Paddy sein großes Abenteuer. Zweieinhalb Jahre später erreichte Mary und Sarah die Nachricht, dass die Lady Mantilla vor der Küste von Peru auf Grund gelaufen und mit Mann und Maus untergegangen war.
Für Mary Flynn war diese traurige Nachricht der Anfang vom Ende. Zu viel hatte sie schon gelitten: die vielen harten Jahre mit Robbie, der Verlust ihres Heims, auch wenn es nur ein bescheidenes Heim gewesen war, und nun der Tod ihres Sohnes. Ihre Gesundheit schwand, und trotz Dr. Bryants Bemühungen verschied Mary Flynn sechs Monate, nachdem Sarah begonnen hatte, bei O'Toole zu arbeiten, im Schlaf. Dr. Bryant hatte Mitleid mit ihr und bot ihr an, sie als Assistentin für die neue Haushälterin zu beschäftigen. Doch Sarah, der sich die harten Zeiten ein geprägt hatten, die die Familie durchlitten hatte, war entschlossen, es allein zu schaffen und niemandem einen Penny schuldig zu bleiben. Den Bedenken des Doktors zum Trotz zog sie im Alter von vierzehn Jahren in Ma Hingertys Pension, hauptsächlich, weil sie in der Nähe ihres
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