Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)
Leichtes gewesen, mich zu beschwichtigen, ich lechzte danach, ihr so gut wie jede Ausflucht zu glauben, um mein Weltbild zu kitten. Doch sie nahm nichts zurück, im Gegenteil.
»
Die Kätzchen hatten ja noch nicht mal die Augen geöffnet«,
flüsterte sie. »
Die merkten doch gar nicht, was mit ihnen geschah. Und so ein schneller Tod war doch viel gnädiger für sie, als von ihren Müttern verstoßen zu werden und über Tage oder Wochen qualvoll zu verhungern.«
Ich dachte an meinen Großvater. Wie seine Augen geleuchtet hatten, wenn er mit uns Kindern in den Wald zog und uns am Bachlauf einen Eisvogel zeigte. Wie er den Zeigefinger an seine Lippen legte, damit wir aufhörten herumzukaspern und die Nachtigall hörten. Ich dachte an das traurige Ölbild von ihm im Wohnzimmer und wie er mitten im Krieg auf dem Friedhof die Sünder segnete.
Du sollst nicht töten. Das fünfte Gebot. Das bezog sich natürlich nicht auf Tiere, und auf dem Land galten ohnehin andere Regeln als in der Stadt, zumal in den Vierziger- und Fünfzigerjahren. Hatte meine Mutter ihrem Vater zugesehen, wenn er den Sack mit den Kätzchen im Löschteich versenkte? Musste sie ihm sogar helfen, sie zu fangen? Leistete sie deshalb Jahrzehnte später Abbitte im Katzenschutzverein?
Etwas bewegte sich hinter mir, lautlos, kaum mehr als ein Schatten. Ich schrie auf, als ich direkt in die runden gelben Augen eines pechschwarzen Katers blickte. Geduckt hockte er im Flur, sein Schwanz peitsche unruhig. Wo hatte er sich zuvor verborgen?
»Othello, hey.« Ich ging in die Hocke und streckte die Hand aus, ganz langsam, um ihn nicht zu erschrecken.
Seine Antwort war ein kehliges Grollen, tief aus dem Bauch.
»Aber Hunger hast du schon?«
Ich richtete mich wieder auf und befüllte die Fressnäpfe mit Futter und Wasser.
»Na komm schon, du Held.«
Der Kater duckte sich tiefer, ließ mich nicht aus den Augen. Ich trat zur Seite, um ihm den Weg an mir vorbei zu erleichtern, und das fühlte sich auf gespenstische Weise so an, als kopierte ich das Verhalten meiner Mutter. Aber es funktionierte, der Hunger des Katers war stärker als seine Angst, nach kurzem Zögern stürzte er sich auf sein Futter.
Ein weiteres Bild sprang mich an, während ich ihm beim Fressen zusah. Eines der vielen Erinnerungsbilder, die irgendwo tief in mir eingebrannt waren: Meine Mutter und Großmutter in Kittelschürzen an einem Sommertag, beide mogeln mit todernsten Gesichtern ein paar Extrabissen aus der Pfarrhausküche zwischen die Abfälle für die lauernde Katzenschar und erschrecken sich furchtbar, als sie mich bemerken.
Theodor, 1922
Eine Städterin!, hat seine Mutter gerufen, als er ihr von Elise erzählte. Eine aus Sachsen! Und sie ist noch so jung! Er zieht Elise fester an sich. Ihre Wange ruht nun an seiner Brust, fast glaubt er zu spüren, wie ihre Wärme durch das derbe Tuch seines Mantels bis auf seine Haut dringt.
»Du kratzt«, murmelt sie, ohne sich zu bewegen. »Du kri-kra-kritze-kratzt.«
Er lächelt. Ja, sie ist jung und verspielt wie ein Kätzchen. Aber er fühlt auch noch etwas anderes in ihr, eine schlummernde Kraft, die erst noch erweckt werden will. Und sie hat Temperament und stammt aus gutem Hause. Ihr Vater ist ein solider Kaufmann. Evangelisch natürlich. Gebildet und fromm und mit der richtigen Gesinnung. Auch das ist wichtig in diesen Zeiten. Er kann keine Frau gebrauchen, die es mit den Sozis oder Kommunisten hält.
Hermanns Braut, hat er gedacht, als er ihr zum ersten Mal begegnete. Aber seitdem hat Elise nur noch Augen für ihn, und Hermann selbst hat ihm signalisiert, dass er ihm den Vortritt lassen würde, wenn er es denn ernst meine.
Ich schulde dir mehr als das,
hat er neulich – zugegebenermaßen nicht mehr ganz nüchtern – während eines Verbindungstreffens der Uttenruthia gesagt.
Ist Elise die Richtige oder nicht? In zwei Wochen wird er Leipzig verlassen, bis dahin muss er das entscheiden. Eine Städterin kann dir doch nicht den Haushalt führen, warnt die Mutter. Doch was das angeht, irrt sie, schließlich hat Elise die Wirtschaftsschule besucht, und der Kuchen, mit dem sie ihn bewirtet, schmeckt köstlich.
»Da, schau, die Schwäne, wie sie übers Eis stolzieren!« Elise macht sich von ihm los und läuft leichtfüßig zum Seeufer, das Wollcape mit dem Kaninchenpelzkragen schwingt im Takt ihrer Schritte. Er schließt zu ihr auf und mustert das watschelnde Federvieh. Noch immer ist der See gefroren, der Frühling lässt auf sich warten,
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