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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Leben, ihr Leben. So voll süßer Hoffnung und Freude und Liebe.
    Singvögel jubeln im Geäst der Bäume, ein laues Lüftchen streichelt ihr Gesicht, und auf einmal hält sie es nicht mehr aus: dieses Steife, Gesetzte an Hermanns Seite, diese höfliche Konversation, ohne etwas zu sagen, dieses ewige Warten.
    »Wer zuerst auf der Anhöhe ist!« Sie löst sich von Hermanns Arm und beginnt zu laufen.
    »Die Wette gilt!«, ruft Hermann ihr nach.
    Elise läuft schneller, hört Hermanns Schritte hinter sich, fast holt er sie ein, sie hört schon sein Schnaufen.
    Schneller, noch schneller. Normalerweise würde sie ihr Tempo wieder drosseln, um ihn nicht zu blamieren, aber nicht heute, nicht jetzt, wenn sie sich so lebendig fühlt, so jung und so stark, und der Himmel so blau ist wie Theodors Augen. Einundzwanzig, sie ist einundzwanzig, wirklich und wahrhaftig, sie ist jetzt erwachsen und nichts kann sie mehr aufhalten. Wie im Nu hat sie die Anhöhe erreicht und die Aussicht ist fabelhaft und sie hat gewonnen!
    Immer noch lachend lehnt sich Elise an einen Baumstamm und sieht Hermann entgegen. Ganz rosig ist sein rundes Mondgesicht von der für ihn ungewohnten Gangart, und sein Atem geht keuchend, doch er klagt mit keinem Wort über ihre Eskapaden, tupft sich nur tapfer lächelnd mit einem riesigen karierten Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Der gute Hermann, ihr Großcousin. Immer und immer ist er für sie da. Führt sie aus zu Konzerten, legt mit ihr Patiencen. Geht mit ihr spazieren. Beschwichtigt die Eltern, wenn die mit ihr schimpfen.
    Macht es ihm wirklich nichts aus, dass sie Theodor heiraten wird, tut ihm das nicht weh? Die Eltern hätten ihn gerne als Schwiegersohn gesehen. Auch Hermann selbst hat sich einmal Hoffnungen auf sie gemacht, das hat sie gespürt, obwohl er ihr das niemals offen gesagt hat. Warum eigentlich nicht? Wusste er, dass sie ihn nie hätte lieben können? Nein, denkt sie, nein. Der Grund dafür liegt in der Vergangenheit, etwas, das im Krieg geschah, von dem auch Theodor weiß, über das aber keiner der beiden Freunde sprechen will.
    »Warte hier einen Augenblick auf mich, ja?« Umständlich stopft Hermann sein Taschentuch wieder in die Hose und stapft ins Unterholz.
    Elise streichelt die Rinde der Buche, an der sie lehnt. Glatt und sonnenwarm ist die und beinahe silbern. Sie kneift die Augen zusammen, legt den Kopf in den Nacken und blinzelt in die Krone. Das helle Grün der Blätter scheint zu flimmern. Lichtpunkte tanzen dazwischen. Hellgrün, nein weiß, nein orange, sie kann das nicht entscheiden.
    Sie soll nicht in ihren Mann als in einen goldenen Kelch hineinsehen
, lautet eine der zwölf Regeln in dem Büchlein
Wir Pfarrfrauen
, das ihr Theodors Mutter zur Verlobung geschickt hat.
Sie soll nicht Herrin, sondern Gehilfin ihres Mannes sein
, heißt eine andere.
Denn der Mann als der zuerst Erschaffene ist der von Gott zur Herrschaft Berufene,
wird das begründet. Doch der Mann habe deshalb auch Pflichten, auf dass
beide Geschlechter ihre Eigenart harmonisch entfalten und zu Gottes Ehre entwickeln können.
    Elise schließt die Augen, lässt die Lichtpunkte weiterwirbeln. Wir Pfarrfrauen, wir! Sie wird zu einer Gemeinschaft gehören und ein sinnvolles Leben leben. Eine Aufgabe haben. Gemeinsam mit Theodor wird sie etwas Gutes bewirken und so all die Sorgen der Eltern um sie vergessen machen. Denn sie haben ja recht: Wo sollte das auch hinführen mit ihrer Malerei und den Handlangertätigkeiten im Kunstverlag? Wenn sie ein Mann wäre und sich an der Akademie einschreiben könnte oder in eine dieser Künstlerkolonien ziehen, aber so –.
    »Herzlichen Glückwunsch zum einundzwanzigsten Geburtstag, liebe Elise. Und eine gute Reise.«
    Elise zuckt zusammen, sie hat Hermann nicht kommen gehört, hat ihn beinahe vergessen über ihren Grübeleien.
    »Für dich!« Hermann verbeugt sich und überreicht ihr einen Strauß Maiglöckchen, den er ganz offenbar soeben eigenhändig gepflückt hat.
    »Maiglöckchen – meine Lieblingsblumen! Ach, Hermann!«
    »Damit du mich nicht vergisst«, sagt er leise und da muss sie weinen, weil ihr auf einmal klar wird, dass sie morgen früh nicht nur die Eltern und Leipzig verlassen wird, sondern auch Hermann.

7. Rixa
    »Sellin.« Ich sagte es laut, fühlte dabei überdeutlich, wie meine Lippen sich beim ›e‹ zu einem falschen Lächeln verzogen und meine Zunge zweimal gegen Zähne und Gaumen tippte.
    »Sellin.«
    Irgendetwas in mir schien darauf zu

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