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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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entsprach?
    Ich fror inzwischen so, dass es wehtat. Ich setzte mich in Bewegung, stapfte auf dem von Neuschnee bestäubten Trampelpfad durch den Hinterhof zu der Treppe, die hinauf ins Atelier führte.
Voilà, liebe Rixa. Herzlich willkommen.
Aus irgendeinem Grund machte mich die Erinnerung an meinen allerersten Besuch hier auf einmal wütend. Vielleicht, weil Ivo an jenem Nachmittag so vollkommen selbstverständlich davon ausgegangen war, dass ich direkt nach meiner Ankunft in Berlin bereit war, mich mit ihm und Piet zu betrinken und auf dem Sperrmüllklavier für sie zu spielen. Bestimmt auch, weil genau diese Kompromisslosigkeit die Ursache seines Unfalls gewesen war. Und seines Erfolgs. Und weil ich selbst eine ähnlich bedingungslose Kraft auch einmal gefühlt und wieder verloren hatte.
    Der verschneite Hinterhof schien das Geräusch des Türklopfers augenblicklich zu verschlucken, doch im Atelier selbst war es offenbar zu hören, denn nach nur wenigen Sekunden schwang die Tür auf und ich stand Piet gegenüber, der mich anstarrte, als wäre ich eine Erscheinung.
    »Hallo.« Ich setzte meinen Hut ab, der mir auf einmal albern vorkam, eine nicht angemessene und ohnehin nicht funktionierende Verkleidung.
    »Rixa, Himmel!« Er zog mich nach drinnen, schloss die Tür hinter mir.
    »Ich wollte eigentlich längst, ich bin …« Ich brach ab, als ich erkannte, wer der Mann mit dem Pferdeschwanz war: Wolle, der Besitzer der Autowerkstatt, Piet und Ivos Vermieter. Er ließ den Lötkolben sinken, mit dem er an einem rostigen Kotflügel herumgewerkelt hatte, und musterte mich mit in etwa derselben Begeisterung, die er einem Schrottauto angedeihen ließ, das andere Händler fälschlicherweise als Oldtimer anpriesen.
    »Das ist ja mal ’ne Überraschung. Du kommst doch wohl nicht etwa wegen deinem Transit.«
    »Ist mir klar, dass du sauer bist, ich wollte mich auch längst gemeldet haben, aber dann …«
    »Zweieinhalb Jahre!« Wolle pulte ein Tabakpäckchen aus dem Latz seines Blaumanns. »›Kannst du mir bitte den Auspuff richten und auch gleich noch für den TÜV sorgen, lieber Wolle? Ganz schnell, am besten sofort?‹ ›Aber sicher, Verehrteste, ich fliege, weil Sie es sind.‹ Und dann? Nichts, njet. Nada. Zweieinhalb Jahre kein einziger Mucks mehr.«
    »Ich hätte dich anrufen sollen, ich weiß.«
    Er zündete seine Zigarette an, verzog keine Miene.
    »Ich hab an dem Tag völlig überraschend ein Angebot für eine Hurtigruten-Tour bekommen, um die ich mich jahrelang beworben hatte. Das ging alles so schnell, eine Krankheitsvertretung, eigentlich nur für zwei Wochen, und dann wurde der ganze Sommer daraus und danach musste ich direkt auf die Marina …«
    »… und nirgendwo gab es ein Telefon oder Handy, ist klar.« Wolle stieß einen Schwall Nikotin aus.
    »Da, trink, bevor du noch umkippst.« Piet war inzwischen zu dem Ölofen gegangen, der offenbar noch immer die Hauptheizquelle des Ateliers war, und hatte aus dem darauf positionierten Kochtopf eine dampfende Flüssigkeit in einen Tonbecher geschöpft, den er mir in die Hand drückte.
    Der Duft von Nelken, Zimt und Wein stieg mir in die Nase, vermischte sich mit dem von Farben und Terpentin, den ich bislang ignoriert hatte, weil er Ivos Geruch war.
    »Ich hab’s verbockt, okay?« Ich wandte mich wieder an Wolle. »Richtig verbockt. Erst hab ich vergessen, dich anzurufen, dann war es mir irgendwann einfach nur peinlich und ich dachte, du hast ja den Autoschlüssel und die KFZ-Papiere und du kannst mich ja auch anrufen …«
    »Was ich getan habe.«
    »Stimmt, hast du. Du hast meiner Mobilbox mitgeteilt, dass ich meinen Bus jederzeit abholen kann.«
    »Yep.«
    »Es tut mir wirklich leid, mehr kann ich dir nicht sagen. Was soll das hier eigentlich werden – ein Kreuzverhör? Muss ich jetzt auf die Knie fallen?«
    Wolle betrachtete mich, begann plötzlich zu grinsen »Du hast dich nicht verändert.«
    Ich trank von dem Glühwein. Er war süß und stark und wahrscheinlich nicht das ideale Folgegetränk nach einem strammen Wodka auf fast nüchternen Magen, doch er wärmte.
    »Und du machst jetzt auf Kunst?«
    Wolle drehte den Kotflügel ans Licht, und ich sah, dass er dabei war, dicht an dicht Muttern und Schrauben darauf zu löten und dass das Ergebnis durchaus ansehnlich war.
    »Jeder braucht ein Hobby, wenn die Kunden einfach abhauen. Apropos, falls du deswegen herkommst: Der TÜV ist nun leider nicht mehr gültig.«
    »Du hast meinen Transit nicht

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