Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Ihr zu den Menschen sprecht, ist sehr erbaulich, nicht wahr, Korbinian? «
Ihr Gemahl nickte, aber sie erkannte, dass er mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Zweifelte er etwa, ob es richtig gewesen war, Mutz anzuzeigen?
Sie verabschiedeten sich von Osiander und machten sich auf den Heimweg. In der Waaggasse angekommen, stellten sie fest, dass Sebastians Umhang nicht am Kleiderhaken im Flur hing. Auch seine Stiefel fehlten. Seltsam, er hatte über eine Stunde vor ihnen das Haus verlassen.
» Wie lange kann so ein Gespräch dauern, Korbinian? « , fragte sie.
Ihr Mann lächelte. » Vielleicht dauern die Verhandlungen mit Freislers länger. «
» Über drei Stunden? «
Anna trat ans Fenster und blickte auf die regennasse Gasse, das trübe Licht der Fackeln spiegelte sich in den Pfützen. » Sebastian müsste längst zurück sein. «
» Dein Bruder ist kein kleines Kind, Liebes. Er wird sicher jeden Moment kommen. «
» Sebastian hütet sich davor, nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs zu sein. Habe ich dir das nie erzählt? «
» Also gut, Anna. Wir werden noch eine halbe Stunde auf ihn warten. Wenn er bis dahin nicht hier ist, gehe ich den Weg ab, den er zu den Freislers genommen hat, einverstanden? «
Er ließ sich in seinem Lieblingssessel nieder. » Setz dich bitte. Sebastian kommt auch nicht schneller heim, wenn du am Fenster stehen bleibst und hinausstarrst. «
Anna nickte und setzte sich ebenfalls. Nur um wenige Augenblicke später aufzustehen und erneut ans Fenster zu treten. Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen. Eine Weile sagte keiner ein Wort, bis sie es nicht mehr aushielt. » Lass uns aufbrechen, Korbinian. «
Ein energisches Klopfen ließ sie verstummen. Anna lief zur Haustür, riss sie auf und stand Michael und Barbara Freisler gegenüber.
Die Miene des Steinmetzes war ernst. » Gott zum Gruße, Frau Dietl. Ist Sebastian zu Hause? «
Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. » Nein, wir erwarten ihn seit Stunden zurück. Er wollte doch zu Euch! «
» Ja, ich weiß « , antwortete Barbara. » Wann ist er denn aus dem Haus gegangen, Frau Dietl? «
» Am Nachmittag bereits. Es ist fast vier Stunden her. « Annas Mund wurde trocken.
Korbinian trat neben seine Frau. » Herr Freisler, Barbara … was gibt es? «
Anna klärte ihn leise auf. » Kommt bitte herein. « Die drei folgten ihr in die Stube.
Barbaras Miene spiegelte ihre Sorge um Sebastian wider. » Es muss etwas passiert sein, Frau Dietl. «
» Malt nicht den Teufel an die Wand « , versuchte Korbinian die junge Frau zu beruhigen.
Um Barbara gegenüber ihre Furcht nicht zu zeigen, gab Anna ihrer Stimme einen festen Klang und richtete den Blick auf Michael Freisler. » Mein Mann und ich werden Euch nach Hause begleiten und dabei Ausschau nach Sebastian halten, nicht wahr, Korbinian? «
» Natürlich, vier Augenpaare sehen bekanntlich mehr als zwei. « Er ging in den Flur, griff nach seiner Jacke und reichte Anna ihren Umhang.
An der Seite der Freislers schritten die beiden den Weg ab, den auch Sebastian genommen haben musste. Dabei spähten sie auch in die schmalen Gassen hinein, aber von dem Bruder war keine Spur zu entdecken. Je näher sie dem Viertel am Wollnertor kamen, in dem die Freislers lebten, desto mehr sank Annas Hoffnung, Sebastian zu finden. Da war auch schon das Haus der Familie. Der Steinmetz und seine Tochter blieben stehen.
» Und nun? « , brachte der kräftig gebaute Mann hervor.
» Wenn er morgen früh immer noch nicht zurück ist « , antwortete Anna, » gehe ich zum Stadtrat und erbitte mir ein paar Büttel, die uns bei der Suche helfen. «
KAPITEL 52
A ls Sebastian die Augen öffnete, herrschte Finsternis. Der grobe Jutesack, den die Männer ihm über den Kopf gezogen hatten, war feucht und stank nach Mäusekot. Furcht fraß sich durch seine Adern und ließ sein Herz hämmern. Diese Scheißkerle. Sie hatten ihn also doch erwischt.
» Fahr zu « , befahl einer der Männer seinem Begleiter.
Er musste direkt neben ihm sitzen. Sebastian schien sich auf einem Wagen zu befinden, denn der Boden, auf dem er lag, war hart und es roch nach Mist. Der Wagen wurde schneller.
» Beeilt Euch! Wir wollen das Tor schließen! « , schrie jemand.
Sie brachten ihn aus der Stadt! Sebastian wollte schreien, aber das speichelgetränkte Tuch in seinem Mund verhinderte, dass seine Hilferufe bis zu den Torwächtern drangen.
» Halt’s Maul « , zischte der Kerl neben ihm, gleich darauf trat er ihm in die
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