Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
Städte, die sich wie Lorath oder Lys an die Klippen klammern, umgeben von stürmischer See. Die Reichtümer des Ostens müssen ihm verheißungsvoller erscheinen.«
»Aber er muss nach Westen reiten«, wandte Dany verzweifelt ein. »Bitte, helft mir, es ihm zu vermitteln.« Auch sie hatte die Sieben Königslande nie gesehen, ebenso wenig wie Drogo, doch war ihr, als kannte sie diese aus all den Geschichten, die ihr Bruder erzählt hatte. Tausendmal hatte Viserys versprochen, dass er sie eines Tages dorthin bringen wollte, und nun war er tot, und sein Versprechen war mit ihm gestorben.
»Die Dothraki handeln nach ihrer eigenen Zeit, nach ihren eigenen Beweggründen«, antwortete der Ritter. »Habt Geduld, Prinzessin. Begeht nicht den Fehler Eures Bruders. Wir werden in die Heimat zurückkehren, das verspreche ich.«
Heimat? Das Wort stimmte sie traurig. Ser Jorah hatte seine Bäreninsel, aber wo lag ihre Heimat? Ein paar Geschichten, Namen, die man feierlich wie Gedichte rezitierte, die verblassende Erinnerung an eine rote Tür … sollte Vaes Dothrak für immer ihre Heimat sein? Wenn sie die alten Weiber der Dosh Khaleen sah, blickte sie dann in ihre eigene Zukunft?
Ser Jorah schien die Trauer in ihrem Gesicht gelesen zu haben. »Heute Nacht ist eine große Karawane eingetroffen, Khaleesi. Vierhundert Pferde von Pentos aus über Norvos
und Qohor, unter dem Kommando von Handelskapitän Byan Votyris. Vielleicht hat Illyrio einen Brief geschickt. Möchtet Ihr dem Westlichen Markt einen Besuch abstatten? «
Dany rührte sich. »Ja«, sagte sie. »Das würde ich gern.« Die Märkte erwachten zu Leben, wenn eine Karawane kam. Man konnte nie wissen, welche Schätze die Händler diesmal brachten, und es würde ihr guttun, mal wieder zu hören, wie Menschen das Valyrisch sprachen, das sie aus den Freien Städten kannte. »Irri, lass eine Sänfte vorbereiten.«
»Ich werde Eurem Khas Bescheid geben«, sagte Ser Jorah, als er sich zurückzog.
Wäre Khal Drogo bei ihr gewesen, hätte Dany ihre Silberne geritten. Unter den Dothraki saßen werdende Mütter fast bis zum Augenblick der Geburt auf dem Rücken der Pferde, und in den Augen ihres Mannes wollte sie nicht schwach erscheinen. Doch da der Khal zur Jagd war, lehnte sie sich gern in weiche Kissen und ließ sich durch Vaes Dothrak tragen, die roten Seidenvorhänge zum Schutz gegen die Sonne zugezogen. Ser Jorah sattelte auf und ritt neben ihr, mit den vier jungen Männern ihres Khas und ihren Dienerinnen.
Der Tag war warm und wolkenlos, der Himmel von tiefem Blau. Wenn der Wind wehte, konnte sie die reichen Düfte von Gras und Erde riechen. Während ihre Sänfte zwischen den geraubten Monumenten hindurchkam, bewegte sie sich von Sonnenschein zum Schatten und zurück. Dany schaukelte voran, betrachtete die Gesichter von toten Helden und vergessenen Königen. Sie fragte sich, ob die Götter geschleifter Städte noch Gebete beantworten konnten.
Wenn ich nicht vom Blut des Drachen wäre, dachte sie wehmütig, könnte das hier meine Heimat sein. Sie war Khaleesi, hatte einen starken Mann, zudem ein schnelles Pferd, Frauen,
die ihr dienten, Krieger, die sie schützten, einen Ehrenplatz unter den Dosh Khaleen, der im Alter auf sie wartete … und in ihrem Schoß wuchs ein Sohn, der eines Tages die Welt reiten würde. Das sollte jeder Frau genügen … doch nicht dem Drachen. Nachdem Viserys fort war, blieb nur Dany als Letzte, als Allerletzte. Sie war die Saat von Königen und Eroberern, und so auch das Kind in ihr. Das durfte sie niemals vergessen.
Der Westliche Markt war ein großer, viereckiger Platz aus festgetretener Erde, umgeben von Labyrinthen aus gebranntem Lehm, Ställen, weiß getünchten Trinkhallen. Hügel wuchsen aus dem Boden wie die Rücken großer, unterirdischer Tiere, gähnten mit schwarzen Mäulern, die in kühle und höhlenartige Lagerräume führten. Das Herz des Platzes war ein Irrgarten aus Buden und verschlungenen Gängen im Schatten gräserner Baldachine.
Hundert Händler und Kaufleute entluden ihre Waren und richteten sich an den Ständen ein, wenn sie eintrafen, und dennoch wirkte der große Markt still und einsam, verglichen mit den brodelnden Basaren, die Dany aus Pentos und den anderen Freien Städten kannte. Die Karawanen kamen von Ost und West nach Vaes Dothrak, nicht so sehr, um an die Dothraki zu verkaufen, sondern eher, um miteinander Handel zu treiben, so hatte Ser Jorah ihr erklärt. Die Reiter ließen sie unbehelligt, solange sie den
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