Das Lied von Eis und Feuer 03 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 03 - A Clash of Kings (Pages 1-332)
das rote Laub des Wehrbaumes raschelt im Wind. Die Gerüche sind angenehmer als die Luft hier, bald geht der Mond auf, und mein Bruder wird ihn ansingen.
»Bran?«, fragte Ser Rodrik. »Ihr esst ja gar nicht?«
Der Tagtraum war so wirklich gewesen, und für einen Moment hatte Bran nicht mehr gewusst, wo er war. »Später werde ich mir noch etwas nehmen«, antwortete er, »sonst platze ich gleich.«
Der weiße Schnurrbart des alten Ritters war vom Wein rötlich gefärbt. »Ihr habt Euch wacker gehalten, Bran. Eines Tages werdet Ihr ein sehr guter Lord sein, glaube ich.«
Ich will ein Ritter werden. Bran trank einen Schluck des gewürzten Honigweins aus dem Kelch seines Vaters und war froh, etwas in der Hand zu haben. Der lebensechte Kopf eines knurrenden Schattenwolfs auf dem Trinkgefäß drückte sich in seine Handfläche. Er spürte die silberne Schnauze und erinnerte sich an das letzte Mal, als sein Vater daraus getrunken hatte.
Es war anlässlich des Willkommensfestes gewesen, das man zu Ehren des Besuches von König Robert ausgerichtet hatte. Damals war noch Sommer gewesen. Seine Eltern hatten gemeinsam auf dem Podest gesessen, zusammen mit Robert und seiner Königin und ihren Brüdern an ihrer Seite. Onkel Benjen in seiner schwarzen Kluft war ebenfalls da gewesen. Bran und seine Geschwister saßen bei den Kindern
des Königs, Joffrey und Tommen und Prinzessin Myrcella, die Robb während des ganzen Mahls schmachtende Blicke zugeworfen hatte. Arya zog andauernd Grimassen, wenn niemand hinschaute; Sansa lauschte hingebungsvoll dem Harfenspieler und Sänger des Königs, der Lieder über ritterliche Taten vortrug, und Rickon fragte immer wieder, warum Jon nicht dabei sei. »Weil er ein Bastard ist«, hatte Bran ihm am Ende zugeflüstert.
Und jetzt waren sie alle fort. Als habe ein grausamer Gott die Hand ausgestreckt und sie davongefegt, die Mädchen in Gefangenschaft, Jon an die Mauer, Robb und Mutter in den Krieg, König Robert und Vater ins Grab, und vielleicht Onkel Benjen auch …
Selbst unten auf den Bänken füllten neue Männer die Lücken. Jory war tot, und der dicke Tom, Porther, Alyn, Desmond, Hullen, der frühere Pferdemeister, und Harwin, sein Sohn … sie alle waren mit seinem Vater nach Süden gegangen, sogar Septa Mordane und Vayon Pool. Der Rest war mit Robb in den Krieg gezogen und würde vielleicht auch bald tot sein. Er mochte Heukopf und Pickeltym und Skittrick und die anderen gern, trotzdem vermisste er seine alten Freunde.
So wanderte sein Blick über die Bänke, über die glücklichen und die traurigen Gesichter, und er fragte sich, wer wohl im nächsten Jahr fehlen würde, und wer im Jahr darauf. Er hätte weinen mögen, aber er konnte nicht. Er war der Stark in Winterfell, seines Vaters Sohn und seines Bruders Thronfolger, und beinahe schon ein erwachsener Mann.
Auf der anderen Seite der Halle ging die Tür auf, und ein Schwall kalter Luft ließ für einen Moment die Fackeln flackern. Bierbauch führte zwei neue Gäste herein. »Lady Meera aus dem Hause Reet«, verkündete der rundliche Gardist über den Lärm hinweg. »Mit ihrem Bruder Jojen aus Grauwasser Wacht.«
Die Männer sahen von ihren Bechern und Tellern auf und
beäugten die Neuankömmlinge. Bran hörte den Kleinen Walder dem Großen zumurmeln: »Froschfresser.« Ser Rodrik erhob sich. »Seid willkommen, Freunde, und teilt diese Ernte mit uns.« Diener eilten herbei, um den Tisch auf dem Podest zu verlängern, und brachten Stühle.
»Wer ist das ?«, fragte Rickon.
»Schlammleute«, antwortete der Kleine Walder abfällig. »Sie sind Diebe und Feiglinge, und sie haben grüne Zähne, weil sie Frösche essen.«
Maester Luwin beugte sich zu Bran vor und flüsterte ihm ins Ohr. »Ihr müsst sie besonders herzlich begrüßen. Ich hätte sie nicht erwartet, aber … Wisst Ihr, wer sie sind?«
Bran nickte. »Pfahlbauleute von der Eng.«
»Holand Reet war ein enger Freund Eures Vaters«, erklärte Ser Rodrik ihm. »Diese beiden sind seine Kinder, möchte ich meinen.«
Während die neuen Gäste durch die Halle schritten, bemerkte Bran, dass einer davon tatsächlich ein Mädchen war, obwohl er das an der Kleidung nie erkannt hätte. Die junge Frau trug eine Lammfellhose, die vom langen Gebrauch geschmeidig geworden war, und ein ärmelloses Wams, in das Bronzeschuppen eingearbeitet waren. Wenngleich nahezu in Robbs Alter, war sie schlank wie ein Junge, hatte das lange braune Haar hinter dem Kopf zusammengesteckt und zeigte nur
Weitere Kostenlose Bücher