Das Lied von Eis und Feuer 05 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 05 - A Storm of Swords. Book Three of A Song of Ice and Fire (1)
und hängte sie auf, ehe sie sich mit ihrem Plündergut und den geraubten Frauen davonmachen konnten. Jarl würde diesen Fehler nicht begehen, dessen war sich Jon sicher, aber wie stand es mit Styr? Der Magnar ist ein Herrscher, kein Räuber. Er weiß vielleicht gar nicht, wie dieses Spiel gespielt wird.
»Da sind sie«, sagte Ygritte. Jon blickte auf und entdeckte den ersten Kletterer, der gerade aus den Baumwipfeln kam. Es war Jarl. Er hatte einen Wachbaum gefunden, der an der Mauer lehnte, und führte seine Männer an ihm hinauf, wodurch es zu Anfang schneller ging. Der Wald hätte niemals so nahe an die Mauer heranwachsen dürfen. Sie sind schon hundert
Meter hoch und haben das Eis selbst noch nicht einmal berührt.
Er beobachtete den Wildling, der nun vorsichtig vom Holz in die Mauer einstieg, mit kurzen, harten Hieben der Beile Haltegriffe ins Eis schlug und sich dann hinüberschwang. Das Seil um seine Hüfte verband ihn mit dem zweiten Mann, der immer noch im Baum hing. Langsam, Schritt für Schritt bewegte sich Jarl höher und stieß die Dorne an seinen Stiefeln ins Eis, wo er keinen natürlichen Halt für die Füße finden konnte. Nachdem er ungefähr drei Meter über dem Wachbaum war, hielt er auf einem schmalen Eisvorsprung inne, hängte das Beil an den Gürtel, zog seinen Hammer hervor und schlug einen Eisennagel in eine Spalte. Der zweite Mann hinter ihm schwang sich zur Mauer hinüber, derweil der dritte zur Baumspitze hinaufstieg.
Die beiden anderen Gruppen hatten keine so günstige Stelle gefunden, wo ihnen ein Baum Schützenhilfe leistete, und es dauerte nicht lange, bis sich die Thenns zu fragen begannen, ob die Nachzügler sich vielleicht schon auf dem Bergrücken verirrt hatten. Jarls Gruppe war allein in der Mauer und bereits fast dreißig Meter hoch, ehe die vorderen Kletterer der folgenden Trupps in Sicht kamen. Die Gruppen waren gute zwanzig Meter auseinander. Jarls vier befanden sich in der Mitte. Zur Rechten kletterte das Gespann von Grigg der Ziege, dessen langer blonder Zopf von hier unten leicht zu erkennen war. Links führte ein sehr dünner Mann namens Errok die Kletterer an.
»So langsam«, beschwerte sich der Magnar laut, während er zusah, wie sie sich ihren Weg nach oben suchten. »Hat er die Krähen vergessen? Er sollte schneller klettern, ehe wir entdeckt werden.«
Jon musste sich auf die Zunge beißen. Er erinnerte sich nur zu gut an den Klagenden Pass und die Kletterpartie im Mondlicht mit Steinschlange. In jener Nacht hatte er sein Herz ein halbes Dutzend Mal hinuntergeschluckt, und am Ende hatten
seine Arme und Beine wehgetan, und seine Finger waren halb erfroren gewesen. Und das war Fels, kein Eis. Stein war fest, Eis dagegen auch im besten Fall heimtückisch, und an einem Tag wie diesem, wenn die Mauer weinte, konnte die Wärme einer Hand ausreichen, um es zu schmelzen. Die riesigen Blöcke mochten im Inneren steinhart gefroren sein, außen waren sie glatt und wiesen Riefen vom herabrinnenden Wasser auf, zudem gab es häufig faule Stellen, an denen Luft ins Eis eingedrungen war. Was immer man über diese Wildlinge sagen mag, mutig sind sie.
Dennoch ertappte sich Jon dabei, wie er hoffte, Styrs Befürchtungen würden sich bewahrheiten. Wenn die Götter gnädig sind, kommt zufällig eine Patrouille vorbei und bereitet diesem Spuk ein Ende. »Keine Mauer kann deine Sicherheit garantieren«, hatte ihm sein Vater einst erklärt, während sie über die Wehrgänge von Winterfell schritten. »Eine Mauer ist nur so stark wie die Männer, die sie verteidigen.« Die Wildlinge hatten zwar hundertzwanzig Mann, doch vier Verteidiger würden genügen, um sie zurückzuschlagen, denn dazu reichten ein paar gut gezielte Pfeile und vielleicht einige Steine.
Allerdings tauchten keine Verteidiger auf; keine vier, nicht einmal ein einziger. Die Sonne erklomm den Zenit, die Wildlinge erklommen die Mauer. Jarls vier blieben bis Mittag vorn, dann stießen sie auf einen Bereich mit schlechtem Eis. Jarl hatte sein Seil um einen vom Wind herausgefrästen Vorsprung geschlungen und verlagerte gerade sein ganzes Gewicht darauf, als sich das ganze Ding plötzlich in einzelne Brocken auflöste und abstürzte, und Jarl mit ihm. Kopfgroße Eisstücke hagelten auf die drei unter ihm hernieder, doch sie klammerten sich an die Nägel in der Mauer, die zum Glück hielten. Jarl kam am Ende des Seils mit einem Ruck zum Halten.
Bis sich seine Gruppe von diesem Zwischenfall erholt hatte, war Grigg die Ziege
Weitere Kostenlose Bücher