Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
ist eine schaurige Angelegenheit.«
»Bislang waren wir nicht außer Sichtweite der Küste.«
»Werden wir aber bald sein.« Darauf freute sich auch Sam nicht.
»Sicherlich wird doch ein bisschen Wasser dem Töter keine Angst einjagen.«
»Nein«, log Sam, »mir nicht. Aber Goldy … Wenn du Wiegenlieder für sie singst, würde es dem Säugling vielleicht beim Einschlafen helfen.«
Dareon verzog empört den Mund. »Nur wenn sie ihm einen Korken in den Hintern steckt. Ich kann diesen Gestank nicht ertragen.«
Am nächsten Tag begann es zu regnen, und die See wurde
rauer. »Wir sollten lieber nach unten gehen, da ist es trocken«, sagte Sam zu Aemon, doch der alte Maester lächelte nur und antwortete: »Der Regen fühlt sich auf meinem Gesicht schön an, Sam. Wie Tränen. Lass mich noch ein bisschen bleiben, ich bitte dich. Ich habe schon so lange nicht mehr geweint.«
Da Maester Aemon, alt und gebrechlich, wie er war, auf Deck zu bleiben beabsichtigte, hatte Sam keine andere Wahl, als das Gleiche zu tun. Also saß er in seinen Mantel gehüllt fast eine Stunde neben dem alten Mann, während der leichte Dauerregen ihn nach und nach bis auf die Haut durchnässte. Aemon schien es kaum zu spüren. Er seufzte und schloss die Augen, und Sam rückte näher an ihn heran, um ihn vor dem schlimmsten Wind zu schützen. Bald wird er mich bitten, ihm in die Kabine zu helfen, redete er sich ein. Das muss er. Doch das geschah nicht, und schließlich grollte Donner in der Ferne, weit im Osten. »Wir müssen nach unten«, sagte Sam zitternd. Maester Aemon antwortete nicht. Erst jetzt bemerkte Sam, dass der alte Mann eingeschlafen war. »Maester«, sagte er und rüttelte ihn sanft an der Schulter. »Maester Aemon, wacht auf.«
Aemon schlug die blinden weißen Augen auf. »Ei?«, fragte er, während der Regen über seine Wangen lief. »Ei, ich habe geträumt, ich wäre alt.«
Sam wusste nicht, was er tun sollte. Er kniete nieder, nahm den Greis auf die Arme und trug ihn nach unten. Niemand hatte Sam jemals stark genannt, und Maester Aemons schwarze Kleidung hatte sich mit Regen vollgesogen, so dass er doppelt so schwer war wie sonst, dennoch wog er nicht mehr als ein Kind.
Während er sich mit Aemon in den Armen in die Kabine schob, stellte er fest, dass Goldy die Kerzen hatte ausgehen lassen. Das Kind schlief, und sie hatte sich in einer Ecke zusammengerollt und schluchzte leise in dem großen schwarzen Mantel, den Sam ihr gegeben hatte. »Hilf mir«, bat er eindringlich, »hilf mir. Ich muss ihn trocknen und wärmen.«
Sofort erhob sie sich, und gemeinsam schälten sie den alten Maester aus seiner nassen Kleidung und begruben ihn unter einem Stapel Felle. Seine Haut war dennoch feucht und kalt und fühlte sich klamm an. »Leg dich zu ihm«, forderte Sam Goldy auf. »Schmieg dich an ihn. Wärm ihn mit deinem Körper. Wir müssen ihn aufwärmen.« Auch das tat sie, sagte jedoch kein Wort und schniefte die ganze Zeit. »Wo ist Dareon?«, fragte Sam. »Es wird wärmer sein, wenn wir alle zusammen sind. Er muss auch herkommen.« Er wollte gerade nach oben zurückkehren, um den Sänger zu suchen, als sich das Deck hob und plötzlich unter seinen Füßen nach unten sackte. Goldy jammerte, Sam verlor das Gleichgewicht und schlug hart auf, und der Säugling erwachte brüllend.
Das Schiff rollte abermals, während er sich noch auf die Beine kämpfte. Goldy taumelte ihm durch die Bewegung in die Arme, und das Wildlingsmädchen klammerte sich so fest an ihn, dass er kaum mehr atmen konnte. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte er zu ihr. »Es ist nur ein Abenteuer. Eines Tages kannst du die Geschichte deinem Sohn erzählen.« Daraufhin grub sie ihre Fingernägel in seinen Arm. Sie zitterte, ihr ganzer Körper bebte unter der Heftigkeit ihres Schluchzens. Was immer ich sage, es wird nur schlimmer. Er hielt sie fest und spürte voller Unbehagen, wie sich ihre Brüste gegen seinen Körper drückten. So verängstigt er sein mochte, es genügte, damit er steif wurde. Sie wird es spüren, dachte er beschämt, doch falls es so war, ließ sie es sich nicht anmerken, sondern klammerte sich nur noch fester an ihn.
Danach verstrichen die Tage in gleichbleibendem Einerlei. Nie bekamen sie die Sonne zu sehen. Tagsüber herrschte Grau, nachts Schwarz, außer wenn Blitze den Himmel über den Gipfeln von Skagos erleuchteten. Sam und die anderen waren ausgehungert, trotzdem konnte niemand essen. Der Kapitän stach ein Fass Feuerwein an, um
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