Das Locken der Sirene (German Edition)
Einfahrt.
„Nora? Würden Sie mich bitte ansehen?“
„Ich kann nicht. Ich arbeite. Mir bleiben nur noch drei Wochen, um die letzten dreihundert Seiten aus der Gosse zu holen.“
„Die neue Fassung wird großartig. Ich finde, Sie haben einen Abend Pause verdient“, sagte Zach.
Nora hörte auf zu tippen. Sie wirbelte in ihrem Bürostuhl zu ihm herum, zog die Knie bis an die Brust und schlang die Arme um die Knie.
„Darf ich Ihnen etwas erzählen?“, fragte sie.
„Sie können mir alles erzählen, klar.“
„Meine Bücher“, fing sie an, und Zach sah den hellen Schatten erster Tränen, die ihr in die Augen schossen, „sind das Einzige, was ich mache, bei dem ich mich
nicht
verkaufe. Nein, es ist nicht einmal etwas, das ich mache – ich
bin
meine Bücher. Und niemand kann diesen Teil von mir kaufen. Sie nicht, Royal nicht, kein psychotisches Arschloch, das glaubt, meine Bücher seien Briefe, die ich direkt an ihn schreibe.“
„Es tut mir leid, Nora. Ich wollte nicht Sie für das Verhalten dieses Wahnsinnigen verantwortlich machen. Ich wurde nur seit ewigen Zeiten nicht mehr so erschreckt. Ich habe meine Angst an Ihnen ausgelassen, weil Wesley schneller bei dem Typen war, der meine Wut eigentlich verdient hätte.“
Nora starrte an ihm vorbei und schien etwas zu beobachten, das nur sie sehen konnte. Was es auch war, es vermochte immerhin, ein schwaches und trauriges Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern.
„Wissen Sie, ich habe erst angefangen, Bücher zu schreiben, nachdem ich Søren verlassen hatte. Ich kam kaum mehr aus dem Bett. Ich dachte, ich würde den Verstand verlieren. An manchen Tagen glaubte ich sogar, ich würde sterben. Ich begann also, in meinem Kopf Welten zu erschaffen. Andere Menschen, andere Leben. Ich schlüpfte aus meiner Haut und in die meiner Protagonisten, und solange ich in ihren Geschichten war, trauerte ich nicht länger um meine. Ich habe gefühlt, was sie gefühlt haben. Das Schreiben hat mich wieder zum Leben erweckt, Zach. Vertrauen Sie mir, ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn man sich verkauft. Meine Bücher zu schreiben ist das Gegenteil davon. Glauben Sie mir?“
Zach schluckte schwer. „Ja, ich glaube Ihnen.“ Er erwiderte tapfer ihren Blick.
„Also gut. Dann sind wir wieder gut. Ich hätte Ihnen das übrigens alles auch am Telefon sagen können.“
„Das weiß ich. Aber Sie haben mich bei unserer ersten Begegnung schon in die Schublade gesteckt, auf der groß
Liverpooler
steht. Darum habe ich gedacht, ich entschuldige mich bei Ihnen, wie es ein Liverpooler tun würde.“
„Und wie macht das ein Liverpooler?“
Zach griff in die Innentasche seines Trenchcoats und zog eine braune Papiertüte heraus. Aus dieser holte er eine Flasche irischen Whiskey und stellte sie vor Nora auf den Schreibtisch.
„Interessant“, bemerkte sie und beäugte die Flasche.
„Was ist denn?“
Nora öffnete die unterste Schublade ihres Schreibtischs und holte zwei Schnapsgläser raus, die sie neben die Flasche stellte.
„Wie viel Katholiken und Liverpooler doch gemeinsam haben …“
Zach starrte sie einen Moment sprachlos über den Schreibtisch hinweg an. Dann tat er etwas, das er schon sehr lange nicht mehr getan hatte – er lachte laut und wie befreit auf, und es fühlte sich fremd und wunderbar an. Wenn er nur etwas mutiger gewesen wäre, hätte er Nora an Ort und Stelle geküsst.
Er stand auf und griff nach der Flasche. Aber Nora war schneller. Sie hielt den Whiskey in der Hand und schenkte ihm das gefährlichste Lächeln, das ihm bisher je untergekommen war.
„Wie wär’s, wenn wir ein Spiel spielen, Zach?“
„Wahrheit oder Pflicht?“, fragte Zach und zog seinen Mantel aus. „Sie müssen bedenken, dass ich schon über vierzig bin.“
„Es gibt für alkoholbedingte Dummheiten keine Altersgrenze“, konterte Nora. „Und dieses Spiel ist ganz einfach. Ich stelle eine Frage, und Sie antworten oder trinken einen. Für mich gelten dieselben Regeln. Wer am betrunkensten wird, verliert. Oder gewinnt, je nachdem, wie man’s sieht.“
„Das Spiel ist wohl kaum gerecht. Sie sind viel mitteilsamer als jede andere Person, der ich je begegnet bin.“ Zach warf den Mantel über Noras Sessellehne.
Sie beugte sich über ihren Schreibtisch. „Vertrauen Sie mir, Easton. Sie haben Geheimnisse, die Sie für sich behalten
wollen
. Ich habe Geheimnisse, die ich für mich behalten
muss
. Ich glaube, in dieser Beziehung sind wir einander ebenbürtig.“
„Meinen
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