Das Löwenamulett
Boden.
»Er stammt aus Rom.«
»Wer?«
»Na, Clemens.«
Langsam ging mir dieser junge Tischler mit seinem Gerede auf die Nerven.
»Aus Transtiberim, auf der anderen Seite des Flusses. Vor einem Jahr wurde er in die Gladiatorenschule verurteilt. Und dann hat er …«
»Wir müssen jetzt wirklich gehen«, sagte ich mit fester Stimme und stand auf. »Wir können uns ja ein andermal unterhalten. Tut mir leid, wir haben nicht viel Zeit heute.«»Schon gut«, sagte Pacuvius, »ich hab ja auch zu tun.
Werde mal diesen Lysander nach einem Besen fragen. Sagt mal, zu welchem Fanclub gehört ihr?«
Jetzt wurde die Luft wirklich dünn. Nichts wie raus hier!
»Wir sind erst ganz neu dabei«, stammelte Delia, »unser Club heißt …«
»… die wilden Löwen«, sagte ich. »So, jetzt müssen wir aber wirklich.«
73
»Die wilden Löwen?« Pacuvius strich über sein Kinn. »Den Club kenne ich gar nicht.«
»Den gibt’s auch erst seit ein paar Tagen«, log ich tapfer weiter. »Ist ein ganz neuer Club, wir haben ihn mit ein paar Freunden gegründet.«
»Ach so«, sagte Pacuvius. Augenscheinlich stellte ihn meine Antwort zufrieden. »Habt ihr schon mal was von den Ascaniern gehört?«
Wir schüttelten den Kopf und schauten ihn fragend an.
»Das ist mein Club«, sagte er stolz.
»Ein seltsamer Name«, meinte Delia.
»Er wurde benannt nach der Gasse, in der wir wohnen, der Ascaniusgasse, drüben in der Subura. Kennt ihr die?«
»Nein«, sagte Delia, »aber wir kommen bestimmt mal vorbei und dann können wir uns weiter unterhalten, ja? Jetzt müssen wir …«
Zu spät.
»Was ist hier los???«
Ein Mann in einer hellbraunen Tunica kam quer über den Sandplatz auf uns zu. Die Gladiatoren hörten augenblicklich auf zu trainieren, einige grinsten. Vielleicht kannten sie solche Szenen. Der Mann hatte ein böses, von vielen Narben zerschnittenes Gesicht. Und ihm fehlte ein Ohr. Er sah zum Fürchten aus, wie er da mit energischen Schritten durch den Sand stapfte. Das musste Mordax sein, der Lanista, der Herr dieser Gladiatorenschule.
»Wer hat die Mädchen hereingelassen?«, rief er wütend, als er uns schon fast erreicht hatte.
»Niemand«, rief Delia und griff nach meiner Hand. »Wir 74
sind selbst hereingekommen. Und jetzt gehen wir, und zwar ganz, ganz schnell.«
Wir stürmten los, zwischen den johlenden Gladiatoren hindurch, ich links, Delia rechts an dem schnaubenden Lanista vorbei, so schnell uns unsere Sandalen durch den Sand trugen. Als die Tür hinter uns ins Schloss fiel und wir schnaufend auf der Straße standen, hörten wir den Lanista immer noch brüllen – und die Gladiatoren schallend lachen.
Zur sechsten Stunde an den Iden des Juli, gegen Mittag des 15. Juli
Wir liefen durch die Portunusgasse bis zum Forum Boarium, dem Rindermarkt, auf den die Gasse mün-det. Hier herrschte ein buntes Treiben. Dutzende Stände standen kreuz und quer über den Platz verteilt und ebenso viele Händler versuchten, ihre Waren mit lautem Geschrei an den Mann oder die Frau zu bringen. Früher hatte hier wohl ein Rindermarkt stattgefunden. Im Laufe der Zeit hatte er sich zu einem Lebensmittelmarkt entwickelt, auf dem man alles bekommen konnte, was in irgendeiner Form essbar war: Bro-te und Salate, Käse und Fleisch, Zwiebeln und Lauch, Hüh-ner, Gänse und Enten, Gewürze, Kräuter, Fische, Muscheln und noch vieles mehr für den kleinen und den großen Geldbeutel.
Delia und ich liefen zwischen den Markständen und den 76
vielen Menschen hindurch, am runden Herculestempel vorbei bis zum Ufer des Tiber, der als braune Brühe träge unter uns vorbeifloss. Es roch nicht sehr appetitlich. Irgendwo in der Nähe ergoss sich ein Abwasserkanal in den Fluss.
Bevor wir uns an die Uferböschung setzten, schauten wir uns um. Niemand schien uns gefolgt zu sein. Wir brauchten einige Augenblicke, um wieder zu Atem zu kommen.
»Bei allen guten Göttern!«, schnaufte Delia. Ihr standen glitzernde Schweißperlen auf der Stirn. »Das war knapp.
Aber viel weiter sind wir nicht gekommen, oder?« Sie nahm sich einen trockenen Grashalm und begann, unruhig darauf herumzukauen.
»Immerhin haben wir einen Verdächtigen«, erwiderte ich und fuhr fort: »Dem wir leider nichts beweisen können. Und der kein Motiv hat.«
»Wie meinst du das?« Delia blickt mich erstaunt an.
»Nun ja«, antwortete ich, »wenn Urbicus tatsächlich der Täter war, muss er doch einen Grund für seinen Überfall gehabt haben.«
»Vielleicht pure Geldgier«,
Weitere Kostenlose Bücher