Das Löwenamulett
den ›Röhrenden Eber‹ gehen, um das herauszufinden. Dort trefft ihr bestimmt ein paar …«, er verzog das Gesicht beim nächsten Wort, »… Freunde von ihm.«
»Gut«, sagte ich und blickte Delia dabei an, »dann werden wir das wohl tun.«
Delia machte ein Gesicht, als stünde sie vor einer zischen-den Schlangengrube. Wahrscheinlich dachte sie in diesem Moment genau wie ich daran, dass uns Urbicus ja selbst in den ›Röhrenden Eber‹ eingeladen hatte.
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»Klar«, sagte sie gequält. »Hat denn die Kneipe jetzt schon geöffnet?«
»Erst am Nachmittag.« Pacuvius grinste. »So lange müsstet ihr euch noch gedulden. Vor dem Trainingsende kann Urbicus das Haus ohnehin nicht verlassen.«
Obwohl ich wusste, wie sehr die Zeit drängte, spürte ich Erleichterung in mir aufsteigen. Ein paar Stunden hatten wir also noch Zeit.
»Willst du uns nicht begleiten?«, hörte ich Delia plötzlich fragen. Pacuvius verzog das Gesicht.
»Ich? In den ›Röhrenden Eber‹? Ich bin doch nicht lebens-müde. Außerdem habe ich zu tun, muss meinem Onkel helfen.«
»Aber es ist doch Feiertag«, sagte Delia, »der letzte Tag der Ludi Apollinares. Da müsst ihr doch nicht arbeiten.«
Pacuvius rollte mit den Augen. »Hast du eine Ahnung«, sagte er gedehnt. »Wenn Onkel Orbilius und ich nicht jeden Abend und jeden Feiertag in der Werkstatt stünden, hätten wir die Tischlerei schon längst zumachen können.«
»Geht es euch so schlecht?«, fragte ich ehrlich überrascht.
Pacuvius’ Miene verdüsterte sich. Mit der flachen Hand deutete er eine Linie dicht unterhalb seiner Nasenspitze an.
»Das Wasser steht uns bis hier, lange können wir das nicht mehr durchstehen.«
»Habt ihr keine Kunden?«
»Doch, aber zu wenige. Die Konkurrenz ist groß, und die Preise für gutes Holz haben sich im letzten Jahr verdoppelt.
Wir brauchen dringend neues Werkzeug, aber dafür fehlt uns das Geld.«
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»So etwas Ähnliches haben wir heute schon mal gehört«, sagte ich. »Kann euer Patron euch nicht unterstützen?«
Pacuvius’ schwarze Augen verengten sich zu funkelnden Schlitzen. »Der? Hah! Dieser habgierige Hund würde sich lieber rösten lassen, als einem seiner Klienten einen einzigen Sesterz zu leihen. Erst gestern früh war mein Onkel bei ihm, hat sich noch vor Sonnenaufgang vor seine Tür gestellt und mit ein paar anderen Klienten darauf gewartet, von diesem mürrischen Türsklaven, der aussieht wie eine gerupfte Krä-he, eingelassen zu werden.«
»Hat er ihn um Hilfe gebeten?«
»Ja, um einen kleinen Kredit. Damit wir uns neues Werkzeug kaufen und vielleicht auch mal das Dach reparieren können. Ich hab nur diese eine durchgewetzte Tunica, Tante Servilia hat sich seit zwei Jahren keinen warmen Umhang mehr kaufen können. Im Winter ist der Herd hier in der Küche das Einzige, woran wir uns wärmen. Onkel Orbilius hat seit Monaten einen schlimmen Husten und kann sich keinen Medicus leisten. Und das alles nur, weil unser Patron kein Herz, sondern einen Stein im Brustkorb hat. Ich glaube, er will uns so weit ins Elend treiben, bis wir ihm dieses Haus für eine Handvoll Sesterzen verkaufen. Dann kann er es abreißen und eine Mietskaserne bauen lassen, die seinen dicken Geldbeutel noch voller macht.«
Pacuvius hatte sich in Rage geredet, seine Augen sprühten Funken. Er zog ein schmutziges Tuch aus seiner Tunica und wischte sich den Schweiß von Stirn und Hals. Er hat schon lange keine Thermen mehr von innen gesehen, dachte ich, als ich die Schmutzstreifen an seinem Hals bemerkte.
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»Genau wie bei Regulus«, sagte Delia.
»Was?«
Pacuvius brauchte einen Augenblick, um Delias Bemerkung zu verstehen.
»Bei Regulus? Von gegenüber? Habt ihr ihn noch getroffen? Sie wollten heute Morgen ausziehen. Ich habe mich schon gestern Abend von ihm verabschiedet.«
»Ja«, sagte Delia, »wir haben mit ihm gesprochen. Als wir auf dich warteten. Der Patron seiner Familie scheint genau so raffgierig zu sein wie eurer.«
»Es ist derselbe«, schnaufte Pacuvius und ballte die Faust.
»Derselbe alte Kahlkopf mit dem steinernen Herzen.«
»Wo sind eigentlich deine Eltern?«, fragte ich, um das The-ma zu wechseln, bevor sich Pacuvius’ Wut über den eiskalten Patron noch weiter steigern konnte.
»Gestorben«, sagte Pacuvius mit heiserer Stimme. Sein Blick ruhte starr auf der Tischplatte.
»Das tut mir leid«, sagte ich und bereute meine Frage. Ich hatte nicht noch eine Wunde aufreißen wollen, aber das hätte ich mir wohl früher
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