Das Los: Thriller (German Edition)
eroberten Gebieten, sogar dem Volk, mehr Lasten auferlegt, als sie tragen konnten. Wie eine Orange habe ich alle ausgepresst, um den Untergang abzuwenden!« Der König schaute bei diesen Worten noch trauriger als ohnehin schon.
Calzabigi fühlte ein Kribbeln in der Hand, mit der er sich abstützte, und nahm sie wieder vom Schreibtisch. Er spürte, dass sein Auftritt kurz bevorstand, und sein Gefühl trog ihn nicht.
Der König beendete seinen kleinen Vortrag mit den Worten: »Nun habt Ihr mir geschrieben, Ihr hättet ein Mittel gefunden, Fortuna zu bändigen, und könntet so einen Quell neuen Geldes für mich zum Sprudeln bringen.«
»Sehr richtig!«, rief Calzabigi. Er machte einen großen Satz auf den König zu und bemühte sich, sein bestes Französisch zu sprechen. »Eine Errungenschaft meines Heimatlandes, die das Königreich Preußen reich und Euer Volk glücklich machen wird: das Lotto di Genova .« Calzabigi stand erstmals direkt vor dem König. Beim Sprechen wedelte er erregt mit seinen Händen vor dessen Gesicht, sodass der König unwillkürlich seinen Kopf in die Lehne des Sessels presste.
»Das Lotto, Sire, wirkt wie eine Steuer – nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Menschen diese Abgabe gerne leisten. Mehr als das: Die Menschen reißen sich geradezu darum.«
»Sie reißen sich darum, eine Steuer zu zahlen?«, entgegnete der König und legte seine Stirn misstrauisch in Falten.
»Allerdings, Sire. Weil sie sich Gewinn erhoffen. Der Mensch ist bereit zu geben, wenn er die Aussicht hat, dass er mehr bekommt, als er gegeben hat. Und erstaunlicherweise scheint es dabei unerheblich, wie groß oder klein diese Aussicht ist.«
»Erklärt es mir noch einmal, Euer Lotto«, forderte der König Calzabigi auf.
Der Italiener glaubte ein begehrliches Flackern in den müden Augen seines Gesprächspartners zu entdecken. Nun musste er daraus nur noch ein Feuer entfachen. »Stellt Euch das Lotto als eine große Wette zwischen dem Staat und dem Volk vor. Eine Wette, bei der es wenige Gewinner und viele Verlierer gibt, der Staat aber immer gewinnt!«
»Worum wird gewettet?«, verlangte der König zu wissen.
»Ich habe einen exakten Plan entworfen. Wenn Ihr erlaubt, werde ich ihn Euch überlassen, und Ihr könnt ihn in Ruhe studieren!«
Calzabigi ging mit hastigen Schritten zu der Truhe, die sein Reisegepäck enthielt, öffnete sie umständlich und entnahm ihr einen Stapel Papiere. Dann kehrte er zurück zum König und hielt sie ihm entgegen. Nachdem der König keinerlei Anstalten machte, sie in Empfang zu nehmen, trat Calzabigi ein weiteres Mal an den Schreibtisch und legte die Papiere dort ab. Vor Aufregung schwer atmend, schaute er auf den König, der das Spektakel ohne jede Rührung beobachtet hatte.
»Das Wesen einer Wette ist die Möglichkeit des Verlusts bei allen Beteiligten, wobei erst der Ausgang der Wette entscheidet, auf welcher Seite er eintreten wird«, sprach der König schließlich bedächtig. »Könnt Ihr einen Verlust aufseiten des Staates bei diesem Lotto wirklich ausschließen?«
»Absolut!«, versicherte Calzabigi mit dem Brustton der festen Überzeugung.
»Wie ich gehört habe, ist aber genau dies geschehen, als Ihr in Paris mit Eurem Bruder und diesem … Wie hieß er noch …?«
»Casanova«, antwortete Calzabigi etwas widerwillig.
»Ja genau. Als Ihr die Lotterie mit diesen beiden in Paris eingeführt habt, hat die Lottokasse Bankrott gemacht. Und wie mir berichtet wurde, habt Ihr es danach in Brüssel eingeführt, und von dort musstet Ihr nach London fliehen, weil Ihr auch in Brüssel bankrottgegangen seid!« Der König deutete mit dem Zeigefinger auf seinen Gast und sah ihn herausfordernd an.
Calzabigi verharrte ebenfalls in seiner Bewegung, und für einen Augenblick schienen sich beide wie aus Stein gemeißelte Skulpturen gegenüberzustehen. Er hatte diese Wendung befürchtet, und er hatte sich auf der Fahrt zurechtgelegt, wie er darauf reagieren würde. Er hatte sich für »Doppelt oder Nichts« entschieden. Ein Lächeln huschte über seine Lippen.
»Ein guter Punkt, Sire. Ein sehr guter Punkt sogar. Erlaubt mir im Gegenzug eine Frage, die Ihr vielleicht impertinent finden werdet.« Er wartete auf eine Antwort.
Der König ließ erst jetzt seine Hand mit dem ausgestreckten Finger sinken, und der anklagende Gesichtsausdruck wich, wie erhofft, einem Anflug von Neugierde. »Ich erlaube Euch die Frage.«
»Dann möchte ich Eure Majestät untertänigst bitten, mir zu
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