Das Los: Thriller (German Edition)
Guckloch der TV-Kamera vor sich geschoben hatte, lachte laut auf. »Ich weiß nicht, wovon du redest, Baby, aber ich weiß, dass dieses Spiel mich liebt!«
Er war an der Reihe, griff nach einem Chip und warf ihn mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk heraus auf den Tisch.
Zeit, sich zu konzentrieren. Trisha musterte die anderen Mitspieler. Die meisten kannte sie gut, einige wenige waren Newcomer oder Online-Spieler, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es war der typische Mix aus Selbstdarstellern, die ihren überbordenden Ehrgeiz, die vielen Stunden des Trainings, das mathematische Talent und die Angst vor dem Verlieren hinter Sonnenbrillen, Kopfbedeckungen und einstudierten Gesichtsausdrücken versteckten. Drei Spieler waren gefährlich, zwei konnten es werden, zwei weitere hatten bis hierher Glück gehabt, und zwei waren Idioten. Seitdem die ersten Karten ausgeteilt worden waren, hatte Trisha ihre Mitspieler studiert, wie ein Maler sein Modell. Sie hatte jeden in ein belangloses Gespräch verwickelt und dabei nicht nur die Mienen und Gesten abgespeichert, die man ihr zeigte. Sie interessierte sich auch für die Details. Wie etwa das Glänzen, das die Reflektion eines TV-Scheinwerfers auf der Stirn des stillen Australiers hinterließ, welches stärker wurde, wenn er spielte, und kaum erkennbar war, wenn er wegwarf. Das kaum hörbare Klimpern der Goldreife am Arm des Bulgaren. Die Falte, die der Ellbogen des schwedischen Milchgesichts im Filz des Tisches hinterließ, mal tief wie der Grand Canyon, mal scharf wie eine Bügelfalte.
Trisha war nicht bloß Spielerin in einer Pokerpartie, sie war Teil eines Bildes, das sie im Kopf malte und bei dem jeder Pinselstrich über Erfolg und Niederlage entschied.
Das Blitzen verschwand aus dem Augenwinkel, der Australier hatte seine Karten weggeworfen. Kein Klimpern war zu vernehmen, auch der Bulgare war raus. Ebenso der Deutsche: ein gefährlicher Kartenzähler, dessen schwarze Hornbrille auf dem Nasenrücken nach unten gerutscht war, da er sie nicht länger mit dem Zeigefinger vor die gezupften Augenbrauen geschoben hatte, was er tat, wenn er glaubte, ein gutes Blatt zu haben.
Vom Russen hatte sie seit vielen Runden nichts mehr gesehen. Er war der Führende und riskierte nichts mehr. Der Platz des zweiten Engländers am Tisch war leer, er war austreten gegangen und daher nicht dabei. Ihr Blick fiel auf die Verwerfung unter dem Ellbogen des Schweden, die sich in dem Augenblick glättete, als er die Karten von sich schob. Der Pole, ein hübscher Kerl mit modischem Haarschnitt, der auch als Model hätte arbeiten können, schien einen kleinen Stapel Chips in die Mitte des Tisches schieben zu wollen. Er würde es nicht tun, sondern nach einigem Hin und Her wegwerfen, dachte Trisha; und so geschah es auch wenige Momente später. Sie hatte lange gebraucht, bis sie ein sicheres Zeichen für die Qualität seines Blattes entdeckt hatte. Man mochte es für Unsinn halten, und es war ihr egal, da sie niemals jemandem von den Zeichen, die sie erkannte, erzählen würde. Aber hatte der Pole gute Spielkarten, fühlte sie beim Blick in sein Gesicht ein leichtes Kribbeln in ihrer Magengegend, wie Schmetterlinge im Bauch eines verknallten Teenagers. Spielte er ein schlechtes Blatt, löste sein Anblick nichts bei ihr aus. Pheromone, Hormone. Hauptsache, es funktionierte.
Jetzt waren nur noch sie und Maurizio übrig. Er wandte sich zu ihr, musterte sie, lugte unter die Karten vor sich, als habe er vergessen, was für ein Blatt er spielte, schaute dann wieder auf und grinste.
»All in« , sagte er.
Er hatte deutlich weniger Chips als sie, sodass sie seinen Einsatz, der seine gesamten Chips umfasste, mitgehen konnte, ohne alles einsetzen zu müssen. Würde sie gewinnen, wäre Maurizio ausgeschieden, und sie stünde im Finale und hätte eine Million Dollar Preisgeld sicher. Maurizio war jedoch der einzige Spieler am Tisch, bei dem es ihr noch nicht gelungen war, ihn zu lesen. Sie hatte kein verräterisches Zeichen an ihm entdeckt. Einmal glaubte sie ein knipsendes Geräusch zu bemerken, wenn er mit den Schneidezähnen auf den Bartstoppeln unterhalb seiner Lippe kaute. Doch dann spielte er gut und machte es nicht. Eben hatte er geblufft, und sie hatte gegen ihn gewonnen. Ihr Blick wanderte von den Chips, die er vor einigen Minuten zu ihr hinübergeschoben hatte, zu ihm herüber. Er nahm gerade einen Schluck aus einer Wasserflasche. Dies war nicht unüblich bei einem stundenlangen
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