Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Leben ging weiter, ich hatte schließlich wieder eine Liveband, mit der ich wie in alten DDR-Zeiten arbeitete, und ich war fest entschlossen, die Auswahl der Stücke auf dem nächsten Album stärker in meine Hand zu bekommen. Manfred war dabei eine wichtige Stütze. Er schrieb allein vier Texte zu Spiegelbilder , meiner neuen CD. Er verstand mein Sprachempfinden, wusste, was ich ausdrücken wollte, alles passte zusammen. Aber Manfred arbeitete sorgfältig, er machte keine Schnellschüsse, was bedeutete, dass ich mir für ein Album mit zwölf Stücken andere Unterstützung sichern musste. Zum Glück sammele ich alle Ideen, die mir irgendwann einmal in den Sinn gekommen sind, die ich aber nicht sofort umsetzen kann. Nun wollte ich mich endlich an »Die Fremde« von Jörg Fauser wagen. Dazu traf ich den Komponisten Gustl Lüttjens, der mir großzügig half und außerdem noch »Casablanca« beisteuerte. Er ist ein wunderbarer Musiker und ein Mann voller Emotionen, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, aber irgendwie ist Gustl zu liebenswürdig für dieses knallharte Metier. Sein »Casablanca« fängt das Westberliner Lebensgefühl jener Tage perfekt ein.
Meine Bandmitglieder legten sich richtig ins Zeug für das neue Album. Ingo Bischof schrieb zwei Kompositionen, und durch ihn lernte ich Heiner Pudelko kennen, einen ausgesprochen scharf- und feinsinnigen Künstler. Er war damals Kopf der Band Interzone, die ebenfalls bei WEA unter Vertrag stand. Für Spiegelbilder steuerte er den Text »Walzer« bei – ich mochte seine direkte, klare Sprache, sein Mäandern zwischen Genie und Wahnsinn. Auch einer, der viel zu früh gehen musste. Heiner wurde nur sechsundvierzig Jahre alt, er starb 1995 an den Folgen eines Gehirntumors.
Für das neue Album traf ich mich wieder mit Franz und nahm, wie meist in seinen kreativen Phasen, einige heftige Rotweinabende in Kauf. Franz trank gern ein Schlückchen und absolvierte dann einen wortgewaltigen Dauerlauf in seiner Studioküche. Er redete und lief und redete, vorbei an einem gut sortierten Regal, in dem die herrlichsten Rotweine der Welt lagerten. An solchen kreativen Abenden musste ich mithalten, auch wenn ich Alkohol sonst eher meide. Wir begruben gemeinsam die Vergangenheit, jedenfalls für die Zeit der Zusammenarbeit – ich kapselte für eine Weile meine Gefühle ihm gegenüber ab, um weiter seine schönen Kompositionen singen zu können.
Zu jener Zeit, 1987, war Franz noch mit Jacqueline verheiratet, mit der mich seit Kurzem eine kleine Freundschaft verband. Ich werde nie vergessen, wie sie mich eines Tages besuchte und laut aufschrie, als sie drei kleine blonde Härchen an meinen unbedeckten Sommerbeinen feststellte: »O Veronique, du hast ja Haare an den Beinen. Die musst du abrasieren. Im Westen haben Frauen nirgends Haare außer auf dem Kopf.« Ich zuckte zusammen und fühlte mich plötzlich wie ein Urmensch, eine Ostfrau aus dem Wald. Von diesem Tag an hatten Haare bei mir außer auf dem Kopf keine Überlebenschancen mehr. Abrasieren, abbrennen oder auszupfen, radikal vernichten. Der Vorfall machte aus mir die fast perfekte westdeutsche Stadtfrau, schön glatt, zumindest an der Oberfläche.
Nur die Musik darf nicht glatt sein – da bin ich wohl doch ein Urmensch?
Bei der Produktion von Spiegelbilder mit Wolfgang Loos übernahm ich zum ersten Mal die Aufgabe eines Executive Producers: Ich suchte die Stücke aus, mischte mich in die Verteilung der Arbeitsaufträge ein und kümmerte mich um vieles, was ich bisher nicht getan hatte. Zum ersten Mal war ich so am ganzen Prozess beteiligt, eine gute Erfahrung, die ich bei der nächsten Platte, die meinen Namen tragen sollte (wie meine allererste), wiederholen und ausbauen würde. Ich wollte die Übersicht behalten.
Franz steuerte zu Spiegelbilder »Sansibar« bei und »Ein Wort zuviel«. Er hatte das Komponieren schöner Melodien nicht verlernt, aber bei manchen Songs jonglierte er haarscharf am Schlager vorbei. Die stilistische Umsetzung war deshalb entscheidend. »Sansibar« wurde unter der Regie von Wolfgang Loos eingespielt, »Ein Wort zuviel« von einem zweiten Produktionsteam. Dieses zweite Team war auf Drängen der WEA dazugekommen. Eine solche Entscheidung ist typisch für einen A&R-Mann, der Künstler und Titelfolge (Artist and Repertoire) von seinem klimatisierten Schreibtisch aus verwaltet. Es war ein klassisches Auf-Nummer-sicher-Gehen. Werner Becker und Luis Rodriguez (der mit Dieter Bohlen auch für
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