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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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Leben.
    Weihnachten wieder daheim
    Plötzlich war es wieder möglich, in die Heimat zu reisen, wir sagten damals »Noch-DDR« dazu. Weihnachten 1989 feierte unsere Großfamilie zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder gemeinsam in Wölfis bei den Eltern. Wir waren insgesamt sechzehn Personen. Da war was los in dem kleinen Haus in der Hinterziel! Die stillgelegte Werkstatt wurde für die Übernachtung der Kinder und Jugendlichen hergerichtet, der ehemalige Arbeitsraum meiner Mutter mit Luftmatratzen bestückt. Ein großer Spaß für die Kinder mit jeder Menge Kissenschlachten, viel Blödsinn und wenig Schlaf.
    Nach diesen langen Jahren der Trennung gemeinsam mit allen feiern zu können war unglaublich. Besonders für Benjamin neu und spannend. Er hatte zwar als kleiner Junge mit der ungarischen Oma meine Eltern in Thüringen schon einmal besucht. Meine Mutter hatte das arrangiert, weil sie ihn so gern einmal bei sich haben wollte, und Rem Ibolya hatte sich bereit erklärt, mitzureisen. Aber das lag lange zurück, nun erst lernte er seine große Familie richtig kennen.
    Die Freude über das Wiedersehen war riesig. Meine damals siebzigjährige Mutter wollte wie immer eine großzügige Gastgeberin sein und uns verwöhnen. Alles sollte schön werden, einmalig, der Situation angemessen. Aber damit überforderte sie sich und bekam eine Grippe, die sie zwischendurch immer wieder ins Bett zwang. Und Großmutter war nicht mehr da, das empfand ich als schmerzlich ungewohnt. Am Heiligen Abend musste ich daran denken, dass sie es gewesen war, die während unserer Kinderzeit Jahr für Jahr Mitte Dezember bei Wind und Wetter in den Wald hinausgestiefelt war, eine Axt über der Schulter, die Haare straff im Nacken zusammengebunden und in eine dicke Jacke gehüllt. Die kleine Person hatte den Förster gefragt, wo sie einen Tannenbaum schlagen dürfe, ihm für die Auskunft vielleicht ein paar Mark zugesteckt – und so Jahr für Jahr für den Weihnachtsbaum gesorgt.
    Es gab jede Menge zu erzählen! Aber wie so oft, wenn Familie zusammenkommt, wechselten sich Freude und kleine Spannungsphasen ab. Vier Töchter trafen aufeinander, die die unterschiedlichsten Lebensformen gewählt hatten, dazu Vertreter der Elterngeneration plus deren Enkel. Akademiker, Arbeiter, Angestellte, Unternehmer und eine Künstlerin – unter einen Hut waren sie nicht zu kriegen. Meine Arbeit als Künstlerin ohne Sicherheiten, unvorstellbar für meine Familie. Uns verband die gemeinsame Herkunft, das war und ist die Grundlage.
    Der Heilige Abend – ein Balanceakt zwischen dem Jetzt und den Erinnerungen. Wir sangen gemeinsam am Weihnachtsbaum, eine alte Tradition der Familie Fischer. Alles schien wie früher, nur älter waren wir alle geworden. Besonders bei meinen Eltern fiel mir das auf. Wie lange würden sie noch da sein? Ich fragte mich das jedoch nicht ernsthaft, denn meine Vorfahren wurden uralt – Oma Minchen mütterlicherseits achtundneunzig, meine väterliche Großmutter vierundneunzig. Gute Gene, das dachte ich. Welche Unmenschlichkeit politischer Bevormundung, Menschen auf Jahre willkürlich zu trennen! Das dachte ich auch.
    Ich sehe meine Mutter heute noch aufgeregt durch das Haus rennen, als die Trennung an jenem 13. August 1961 besiegelt wurde. Damals war ich knapp zehn Jahre alt. So alt wie jetzt Ines. Etwas verständnislos hatte ich ihr zugesehen, hatte nur geahnt, dass etwas Schreckliches geschehen war. Sie war so in Sorge, sie vermutete ganz zu Recht, dass die Verbindung zu ihren Verwandten in Westdeutschland ab jetzt abgeschnitten sein würde. Die Straße zurück in die eigene Kindheit und Jugend.
    Auf dieser Straße waren wir alle nun wieder hierher, ins Elternhaus, zurückgekommen. Mit mehr Erinnerungen als Beobachtungssinn. Die Kinder aber waren zum Glück frei von solchen Gefühlen und lebten nur den Augenblick.
    Erst einmal waren wir glücklich, ein wenig beisammen zu sein. Die Gans, die traditionell in den Ofen kam, war ein Gemeinschaftswerk. Ebenso die wichtigen Thüringer Klöße, ein Muss in dieser Region. Die Klöße machten besonders viel Arbeit: Erst mal eine große Menge Kartoffeln schälen. Dann wird ein Drittel davon gekocht. Die rohen Kartoffeln werden gerieben, früher per Hand – man muss sich mal vorstellen, wie die Hände danach aussahen. Wir hatten den Luxus einer Küchenmaschine. Die geriebenen Kartoffeln wurden in einer Presse ausgepresst, bis die Masse trocken war. Unsere Presse hatte der Vater aus Holz gebaut. Dieser

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