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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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dahin erfolgreichen Künstler der DDR bedeutete die Einheit eine harte Landung. Sie waren zunächst beim eigenen Volk nicht mehr gefragt, denn das wollte nun natürlich die aus den Medien bekannten Westkünstler erleben. Was die Liveerlebnisse betraf, relativierte sich dieser Wunsch aber schnell wieder. Da wurde bald klar, dass die Ostkünstler ihre eigenen Qualitäten hatten und ihre Musik zum Leben der ostdeutschen Bürger dazugehörte. Von den Medien wurde diese leise Gegenbewegung leider kaum mehr beachtet, weil es plötzlich nur noch um Umsätze und Quoten ging.
    Mit dem MDR bildete sich eine Art Heimatsender für Ostkünstler heraus – härter gesagt: eine Art Entsorgungspool für Rock- und Popmusik aus der Ex-DDR, während in den anderen regionalen Programmen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten »alte Ostkünstler« danach so gut wie nicht mehr vorkamen. Erst für junge Künstler gilt die Unterscheidung Ost/West medienmäßig nicht mehr. Wir Alten aber werden den Stempel »Osten« bis an unser Ende auf der Stirn tragen.
    Ein Sketch von Michael Mittermeier, der mir gerade einfällt, bringt das schön auf den Punkt: Seine Eltern hätten ihn immer gewarnt vor denen aus dem Osten, denn die hätten mit dem »Russ« zu tun.
    Mittlerweile sind Russen ja willkommen im Land, jedenfalls die mit belastbaren Kreditkarten im Portemonnaie, woher auch immer die Kohle stammt, die sie da ins Wirtschaftsleben pumpen. Trotzdem steckt der »Russ«, der Böse, der älteren Generation in den Gliedern, und manche Westdeutsche glauben immer noch, er stecke besonders in den Ossis. Deshalb beginnt für die alten Wessis Russland – oder sogar Sibirien, wie Konrad Adenauer gesagt haben soll – jenseits der Elbe.
    Nun hatte ich das »Glück«, fast zehn Jahre vor der Wiedervereinigung in den Westen gegangen zu sein und mir dort einen neuen Namen gemacht zu haben. Doch trotz der vielen Jahre dazwischen und trotz meiner neuen musikalischen Erfolge musste ich mich immer wieder fragen lassen: Wer bist du, woher kommst du? Es ist anstrengend, so auf dem Prüfstand zu stehen und sich andauernd erklären zu müssen. Ich fragte mich, woher das kam. Sind die Menschen in Deutschland einfach unsicher, wenn Künstler in der eigenen Sprache singen? Mag sein. Jedenfalls gilt, dass man hierzulande nicht wirklich erfolgreich sein kann, wenn man noch Heimatspuren an sich hat, noch »Stallwärme« zu spüren ist. Es sei denn, man entspricht der Volkstümlichkeit in ihrer unechten, niveaulosen Form, wie sie die echte Volksmusik mittlerweile fast komplett ersetzt hat – dazu gleich noch etwas mehr. Singt man aber ein Repertoire, das sich an internationalen Maßstäben messen lässt, in deutscher Sprache, wird man medienmäßig sofort mit Sängern des Auslands verglichen, die hier als »internationale Künstler« verkauft werden, obwohl sie im eigenen Land kaum einer kennt. Doch weil sie ja angeblich schon in New York reüssiert haben, wird so lange getrommelt, bis auch die Bielefelder Stadthalle ausverkauft ist.
    Früher hat man spöttisch gesagt: »Der ist in Bielefeld weltberühmt« – heute gilt das umgekehrt.
    Das kulturelle Niveau hat durch diese langjährige Ignoranz gelitten, auch durch ein fehlendes Kulturministerium, das es bis heute nicht gibt; das zeigt den Stellenwert der nationalen Kultur in der Politik. Aber vor allem aufgrund unserer Geschichte konnte sich die Identität einer selbstbewussten Musikszene in der Muttersprache viele Jahrzehnte lang nicht weiterentwickeln, ohne gleichzeitig einen faden Beigeschmack zu haben. Die Geschichte wurde nicht wirklich aufgearbeitet, sondern in beiden Landesteilen, in beiden politischen Systemen je nach Gusto zurechtgerückt. Die Leichen sind versteckt, nicht begraben – so wie die Krise nicht ausgeheilt, sondern nur gedämpft worden ist. Das, was in Ländern wie Irland musikalisch zum Alltag gehört, gelebte Kultur ist, fiel bei uns lange hinten runter, weil ihm der Hautgout anhaftete, für politische Zwecke vereinnahmt worden zu sein. Bei uns gibt es kaum noch traditionelle Volksmusik, stattdessen volkstümelt es durch alle Kanäle, gerne mit Playbackbeschallung – eine trügerische Idylle wird heraufbeschworen aus einer Vergangenheit, die so nie wirklich existiert hat. Ausgerechnet der MDR fühlt sich dieser Scheinwelt inzwischen besonders verpflichtet und bietet einer ganzen Riege zweit- und drittrangiger »Künstler« eine Plattform. In Mainz als Gast beim ZDF schnappte ich einmal hinter

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