Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
besucht. Sein viel zu kurzes Leben war geprägt vom Kampf zwischen den Fronten des Kalten Krieges. So recht kam er trotz seines großen Könnens nicht auf die Beine. Er gehört zu denen, die an beiden Landesteilen litten. Seine Vorstellung von einer menschlichen Gesellschaft sah anders aus als die Realität. »Fluche, Seele, fluche« war eins seiner Bekenntnisse. Von allen, die mir begegneten, war er der Konsequenteste; er war nicht käuflich, schrieb niemals Mist, um Geld zu verdienen. Eine Einstellung, die in einer kapitalistischen Gesellschaft, in einer Diktatur des Geldes, nicht funktionieren kann.
Detlef war über Gerulfs Tod genauso geschockt wie ich und wollte in dieser Zeit nur noch mit Manfred arbeiten. Der schrieb das schöne »Als wenn die Erde bebt«. Frank Ramon textete »Frei«. Aber damit konnte ich kein Album füllen. Ich überlegte, wen ich mit ins Boot holen sollte.
Der Zufall kam zu Hilfe. Im Radio hörte ich ein Lied, gesungen von Jürgen Walter mit einem schönen Text von Gisela Steineckert. An sie hatte ich nicht mehr gedacht, die Branche war früher voreingenommen, wenn es um alte Ost-Entscheidungsträger ging. Gisela war eine gute Staatsbürgerin der DDR gewesen und galt als sehr tüchtig. Die Welt hatte sich doch gewaltig verändert. Privat hatte ich sie noch nicht kennengelernt. Ich entschied, mir selbst ein Bild von ihr zu machen, und bat um ein Treffen. Mir begegnete eine sympathische, interessierte und kluge Frau. Es sollte eine lange Zusammenarbeit werden, obwohl wir durchaus unterschiedliche Auffassungen hatten und haben. Gisela gehört zu jenen begabten und erfahrenen Lyrikern, die auf den Punkt schreiben können. So wie ich es von Kurt kannte. Ich brauche sie bis heute nur mit einer bestimmten Idee im Kopf anzurufen, schon rattert bei ihr das Gehirn los, die Zeilen fließen nur so aufs Papier. Doch wird es bei ihr immer Lyrik sein, Lieder in klassischer Form – reine Popsongs dagegen sind nur selten ihre Baustelle.
Ich blätterte in ihren Texten und entdeckte »Tief im Sommer«. Das wollte ich singen. Andreas gab zu bedenken, dass der Text schwer zu vertonen sei. Als ich darauf beharrte, verwirklichte er meinen Wunsch mit einer passenden Melodie. Wunderbar, ich hatte es wirklich gut mit meinen Autoren und war dankbar dafür!
Jetzt musste ich nur noch eine Plattenfirma finden. Ich reiste nach München zu Sony-BMG. Darauf war ich gekommen, weil Sony das alte Material des Ostens von Amiga weiter vermarktete. Im Gepäck hatte ich »Tief im Sommer« und »Dann bieg ich meine Seele wieder grad«, Musik von Andreas, Text von Stefan Waggershausen.
Ich bekam einen Termin mit Thomas M. Stein und der zuständigen A&R-Frau des Hauses. Da meine alten Songs nach wie vor gut liefen, ging ich davon aus, dass eine Grundlage für eine Zusammenarbeit gegeben wäre. Doch weit gefehlt. Herr Stein nahm sich zwar Zeit, fragte aber abschließend, wann ich denn gedachte, die Bühne zu verlassen. Die Frage machte mich sprachlos. Mag sein, dass es ihm bis dahin entgangen war, dass auch ältere Künstler auf den Bühnen der Welt Erfolg haben konnten. Manche von ihnen sind übrigens in jedem Winkel dieser Welt bekannt, nicht zuletzt deshalb, weil es in jedem Winkel dieser Welt ältere Menschen gibt, die Musik hören und ihrem eigenen Geschmack über die Jahrzehnte treu geblieben sind. Hinzu kam, dass er die Wirkungsweise und den Stellenwert der »Ostkünstler« in den neuen Bundesländern, ihrem »alten« Land, und ihre ständige Livearbeit nicht einschätzen konnte. Westliche Unwissenheit!
Noch heute staune ich über die Ungehobeltheit dieses Mannes, den man später als Dauergast bei RTL sah, unter anderem in sogenannten Talentshows, in denen sich eher die Juroren produzierten, als dass tatsächlich Begabungen gefördert worden wären. Moderne Gladiatorenkämpfe – und den Daumen heben und senken die alten, selbst ernannten Medienzaren. Die meiner Ansicht nach, wie ein Herr Stein den Anschluss ihrer Branche an das digitale Zeitalter verschlafen haben – ganz zu schweigen vom richtigen Umgang mit den Künstlern.
Ich dagegen war mit fünfzig noch durchaus nett anzusehen und absolut bei bester Stimme. Aber das spielt keine Rolle in diesem Land – nicht wenn man eine Frau ist. Ich erinnerte mich an den »guten Rat«, den mir Götz Kiso mit auf den Weg gegeben hatte, als ich Polydor mit siebenundvierzig Jahren verließ: »Von jetzt an musst du immer lachen!«
Ich denke an einige Kolleginnen und
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