Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
mir bis dahin fremd. Es gab keinen Mangel. Ich wurde von der Mutter sofort mit Geschenken bedacht, dem »wunderbaren« schwarzen Lederrock beispielsweise, den ich dann auf dem Cover von »Panta Rhei« trug. Er war modern, und ob er vorteilhaft aussah, überlasse ich dem Betrachter. Es war der dritte Rock zu den beiden anderen. Einige Strickpullover gab’s obendrauf.
Ich freute mich über alles.
Wir fuhren in Lászlós Schiguli, einem damals im ganzen Osten sehr angesagten russischen Wagen, alle Sehenswürdigkeiten des Landes ab. Wir besichtigten Eger (Erlau) und die berühmte Burg. Dort und im nahe gelegenen Mezökeresztes hatten 1596 die entscheidenden Schlachten Österreich-Ungarns gegen die Osmanen stattgefunden. Ich besuchte wunderbare Weinkeller, in denen fröhlich getafelt wurde, und kostete mich durch die verschiedenen Sorten. Dazu gab es Kolbász, die typische ungarische Wurst, und scharfen grünen Paprika. Auf den Märkten wurde frisches Obst und Gemüse zuhauf angeboten, kein Vergleich zum bescheidenen Angebot in der DDR. Dort beschränkte sich alles – und auch das nur gelegentlich – auf den »Gelben Köstlichen«, wie die Apfelsorte »Golden Delicious«genannt wurde, oder Möhren und Kohl. Die Menschen in der DDR stellten sich einfach in lange Schlangen in der Hoffnung, am Schluss etwas zu bekommen, das es sonst nicht gab – egal, was. Das begegnete mir in Ungarn nicht.
Beim Bummeln über einen der farbenfrohen ungarischen Märkte musste ich an meine Kindheit denken: Mein Vater liebte Weintrauben über alles, aber die bekam man höchstens einmal im Jahr, und dann nur ein Kilo pro Familie. Die Trauben wurden zugeteilt, egal ob man sich mehr hätte leisten können. Zu Hause wurden die Trauben auf den großen Tisch in unserer Küche gelegt und anschließend sorgfältig abgezählt. Jeder von uns bekam gleich viele. Es war wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich vergesse nicht, wie mein Vater seine zehn Weintrauben genoss und sich mehr wünschte.
Hier musste man nichts abzählen, hier lagen die Rispen dicht an dicht, daneben standen ganze Steigen mit duftenden Pfirsichen. Den intensiven Geruch dieser Märkte habe ich heute noch in der Nase. Es war einfach herrlich. Dazu die Gastfreundschaft, die Herzlichkeit der Menschen. Überall wurden wir freundlich aufgenommen, von Bauern zu einem Glas Wein und einem deftigen Essen eingeladen. Nachher konnte es dann passieren, dass uns der Schlag traf, wenn wir aus der kühlen Feuchte in die warme Nacht liefen. Draußen spürte man erst den wahren und gefährlichen Gehalt des Weines. Wir schwankten und führten uns dann entweder nach Hause oder schliefen im Auto, je nachdem, wo wir waren.
Das war meine Sturm- und Drang-Zeit, meine Jugend.
Es war eine wunderbare Reise, leicht und unbeschwert.
Ich verliebte mich. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch László. Aber ich kann nur für mich sprechen.
Panta Rhei oder die Stimmbildung
Mit meinem Einstieg bei Panta Rhei war mein Bühnenleben genauso wichtig geworden, genauso anstrengend und fordernd wie mein Studium. Jedes Wochenende traten wir auf. Freitags gab es eine Abendvorstellung, samstags zwei und sonntags mitunter drei Konzerte. Mir hätte weniger auch genügt. Aber wenn man Erfolg hat, gelten eigene Gesetze, in der DDR wie überall sonst, darin unterschied sich unser Land von keinem anderen der Welt.
Ich war inzwischen im dritten Studienjahr und musste versuchen, alles irgendwie unter einen Hut zu kriegen. Eine echte Herausforderung, aber ich war stolz darauf, ein Teil dieser ehrgeizigen Band zu sein.
Von links Ulrich (Ed) Swillms (später Karat, Komponist der »Sieben Brücken«), Joachim Schmauch, Henning Protzmann, Veronika Fischer, Herbert Dreilich, Manager Udo (sein Nachname ist mir leider entfallen), Rudolf Ulbricht, Bernd Richter, Frank Hille, Ralf Stolle, 1972/73
Panta Rhei bestand aus einer klassischen Rhythmusgruppe plus Bläsersatz: Piano, Gitarre, Bass und Schlagzeug, im Bläsersatz waren sogar vier Instrumente vertreten – Trompete, Posaune und zwei Saxofone, Alt und Tenor. Wenn etwas Neues zu proben war, wurden mir, wie jedem anderen Bandmitglied auch, einfach die Noten in die Hand gedrückt. Das hieß vom Blatt singen. Für einen Sänger, der die Melodie nicht mithilfe eines Instruments nachspielen kann, ist das nicht leicht – die Stimme ist sein Instrument, er hat kein anderes. Für Musiker ist es auch nicht leicht, vom Blatt zu spielen, aber der Klang eines Tons ist in
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