Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
seines Autos sitzend auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Die Verbindung zwischen uns ist nie abgerissen, vielleicht ist die innere Nähe am Ende sogar wieder ein wenig größer geworden – aber eine Grunddistanz blieb. Ich hatte den Verlust schon erlebt.
2011 war dann wieder ein Jahr des Jubilierens, auch eine neue Orchidee wurde nach mir benannt. Vierzig Berufsjahre, Grund für eine Retrospektive mit dem Album Zeitreise . Die erfolgreichsten Lieder, dazu zwei neue sollten es sein. Also ab ins Studio mit meinen guten Musikern, die alles in kürzester Zeit einspielten; diese Songs präsentierten wir schließlich oft live. »Auf der Wiese«, »In jener Nacht«, »…dass ich eine Schneeflocke wär« und so weiter. Die neuen Stücke waren »Ein Blick, ein Kuss«, komponiert von Stefan Olsson und Fred Johansson, der deutsche Text von Thomas Woitkewitsch und »Mein seltsames Leben« – Text von Gisela Steineckert, komponiert von Andreas Bicking. Einmal mehr war mir das Lied »Mein seltsames Leben« auf den Leib geschrieben. Vor allem die Zeile Mein seltsames Leben, verwundet, genesen, es ist mein gewesen, mit Dämmern und Schein ging mir sehr nah . Ein bewegtes und reiches Leben, seltsam manchmal die Umstände und geprägt von dem einen Satz, den ich mit Mitte zwanzig in einem Interview zu Protokoll gab, als ein Journalist mich fragte, wie ich meinen Beruf denn nun fände? Anstrengend manchmal, antwortete ich ihm, aber dann doch wieder auch schön. » Schön, weil ich mehr leben muss!«
Mein seltsames Leben
ich hab es erfahren
es reift mit den Jahren
es trug mich hierher
mir bleibt mein Lied
mir bleibt mein Lied
oft brauch ich kaum mehr 15
Epilog
Der Herbst war wie ein Sommer. Erst jetzt, an den ersten Novembertagen, fallen die bunten Blätter zuhauf, und der Wind bläst kalt.
Wenn an solchen Tagen die Sonnenstrahlen durchs Fenster in mein Wohnzimmer einfallen, kann ich das genießen – viel Licht, gedämpfte Wärme. Im Sommer wird es hier oben unterm Dach manchmal unerträglich heiß.
Ich räume gerade die Reste eines leichten Frühstücks beiseite, da klingelt das Telefon. Benjamin fragt, wie es mit einem Spaziergang im Park wäre – er ist heut früh für seine kleine Tochter verantwortlich, seine Frau Yvonne hat zu tun, und als Selbstständiger unternimmt der Papa dann, wenn es möglich ist, natürlich irgendwas mit Fiona – sehr gern, wie ich weiß.
Meine Enkelin ist fünf Monate alt, ein lebendiges, vergnügtes Wesen. Ich muss den Impuls geradezu unterdrücken, sofort »Ja, ich komm mit!« in die Hörmuschel zu rufen. »Leider geht’s gerade nicht, wie wär’s denn morgen?«, frage ich stattdessen. Ich bin gern mit Benjamin und der Kleinen unterwegs. Seit er Vater geworden ist, hat meine Begleitung für ihn ein paar andere angenehme Seiten mehr, so kommt es mir vor. Und mich erinnern unsere Streifzüge durch die weitläufigen Parks im Südwesten Berlins natürlich an jene Runden, die wir damals im Rosenpark drehten, anfangs in Westberlin. Als Benjamin nur ein bisschen älter war als Fiona jetzt.
Ich bin auf dem Sprung. »Wir telefonieren abends wieder«, verspreche ich. Die Notizen für die Bandprobe, zu der ich aufbreche, liegen schon bereit. Und mein großes altes Auto ist aus der Werkstatt zurück. Starten, Licht, schalten, Gas – ich glaube, erst wenn ich irgendwann mein Auto nicht mehr selbst steuern darf, werde ich mich richtig alt fühlen. Das geht vielen aus meiner Generation so, ich weiß es.
Durch die Innenstadt muss ich diesmal nicht, ich kann sie umfahren. Der Probenraum, den uns ein Tontechniker vermietet, liegt am Britzer Damm, am Südrand von Neukölln. In manchen Ecken des südwestlichen Berlin, durch das ich jetzt kutschiere, könnte man glauben, die Mauer sei noch nicht gefallen, so betulich wirkt alles hier, wie vor dreißig Jahren. Jedenfalls auf den ersten Blick.
Ich liege gut in der Zeit, fahre heute gemütlich, ich mag es nicht, zu hetzen und zu spät dran zu sein. Will einen Blick werfen können auf die feinen Dämchen da vorn bei der Konditorei und die Jungs mit den Basecaps auf, die sich um eine uralte Litfaßsäule lümmeln und irgendwelche Zigaretten zerkrümeln.
Wenn es mir gut geht, wenn ich die Ruhe und das Zutrauen dafür habe, fühle ich mich mit alldem inzwischen verbunden. Im Vorbeifahren jedenfalls.
Oft genug langt man im letzten Augenblick erst irgendwo an, wenn man als fahrender Musiker unterwegs ist. Dann ist es ein Kraftakt, überhaupt zur Musik, zu
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