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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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stattfindet, muss natürlich alles an Instrumenten, Ton- und Lichttechnik aufgebaut, installiert und abgestimmt werden. Und hier kam das erste Problem: Natschinskis Piano passte nicht durch die Tür. Ein Kran wurde bestellt, und Thomas musste mit Bauchschmerzen zusehen, wie das edle, teure Instrument an einem Seil hin und her schwankte. Mit bangen Blicken verfolgte er, wie es von oben durch das Dach auf die Bühne heruntergelassen wurde. Es gelang, und wir atmeten auf. Aber das sollte nicht der einzige Ärger an diesem Tag bleiben. Es hieß, unser Tonmann am Mischpult dürfe nicht mit im Saal sitzen, er sollte vom Orchestergraben aus den Ton mischen. So was ist möglicherweise mithilfe von digitalen Kopfhörern heutzutage machbar – und trotzdem unvorteilhaft. Wenn einer den Saalklang nicht hört, wie soll er ihn dann für die Zuhörer mischen? Zumal unsere Musik nicht einfach zu hamonisieren war, das Zusammenklingen von fünf Instrumenten, dazu Sologesang und Zweitstimmen. Das Ganze bei einer Lautstärke, die mit den Bedingungen dieses Konzerthauses nicht übereinstimmte.
    Als wir mit der Hausleitung diskutierten, um unsere Anforderungen deutlich zu machen, ahnte ich, dass es hier schwer für uns werden könnte. Und dann wurden sämtliche unserer Wünsche vollkommen ignoriert. Es gab kein Entgegenkommen. Wir waren hier keine Stars, nicht einmal Künstlerkollegen. Darauf waren wir nicht vorbereitet, es lag Spannung in der Luft. Meine Stimmung war am Boden.
    Die Zeit bis zum Auftritt tickte gnadenlos, ein Zurück gab es nicht. Ich zog meine rote Bluse über, schlüpfte in meine weißen Hosen und in die roten Stiefel. Meine Kleidung war der Musik, die wir spielten, und dem Lebensgefühl, das sie ausdrückte und das auch mein eigenes war, angepasst. Eine junge Frau, die sich mit moderner, westlich orientierter Musik in deutscher Sprache ausdrückt. Ich schminkte mich und dachte noch, dass der Abend eigentlich nur besser werden konnte als dieser verhexte Tag.
    Aber als ich etwas später durch den Vorhang lugte, traf mich fast der Schlag. Was war das? Das war doch nicht unser Publikum! Ich sah zurechtgemachte Damen in Brokatgewändern, kleine Täschchen unter den Arm geklemmt. Dazu streng blickende Herren in steifen Anzügen, vielleicht war auch eine Uniform darunter, das konnte ich nicht mehr unterscheiden. Was war hier los? Wussten diese Leute eigentlich, was gleich auf sie zukommen würde? Das waren ausnahmslos bestellte und geladene Gäste des Regimes. Es war nicht ihre Musik. Waren sie etwa aufgefordert worden, den Saal zu füllen? So etwas gab es auch in der DDR.
    Ich war hilflos. Ich dachte nur: Da müssen wir jetzt durch – und die auch!
    Das Konzert überstand ich irgendwie, wie in Trance, eigentlich war ich gar nicht anwesend. Das bestellte Publikum klatschte, wie Marionetten klatschen, und nichts anderes waren sie auch. Ein Publikum, das programmiert ist und nach seinen eigenen Vorgaben funktioniert, ist nicht beeinflussbar, egal was man spielt, egal was man macht. Ich fühlte mich zwischendurch vollkommen hilflos. Als Profi muss man so etwas abkönnen, aber das sagt sich so leicht. Im Nachhinein denke ich, wir haben einen guten Job gemacht, trotz der Umstände an diesem Abend. Und heute, Jahrzehnte später, finde ich es sehr tröstlich, dass sich Diktaturen irgendwann auflösen. Weil ihnen das Volk abhanden kommt. Das war in der DDR so, das war in Rumänien so. Da konnte Honecker noch so sehr den Schulterschluss mit Ceau ş escu suchen. Ihre Tage waren 1989 gezählt.
    Zu Haus ist der Tisch noch halb aufgedeckt. Benjamin und seine Mutter sind vorhin so eilig aufgebrochen, so fröhlich wegen der lockenden Sonne, dass sie einfach den Mittagskram stehen und liegen gelassen haben. Und die Schwiegermutter hat offenbar nicht vorbeigeschaut. Sie ist manchmal schon um fünf Uhr früh hellwach, schnappt sich den Staubsauger und stellt ihre kleine Wohnung auf den Kopf, zur Freude der Nachbarn. Putzmunter, im Wortsinn. Und um neun Uhr vormittags dann noch einmal. Bei ihnen dreien auch manchmal, und wenn sie etwas stört, beseitigt sie es ungefragt.
    »Mammi, wo ist Nagy«, fragt Benjamin.
    Wäre schön, denkt sie, wenn Nagy, die Oma, mir heut wirklich mal unter die Arme greifen würde – wo die Sonne so lockt…
    Eigentlich mögen sie sich inzwischen. Aber Rem Ibolya braucht ihre Hilfe, weil sie der fremden Sprache nicht mächtig ist: Sie bittet um eine Übersetzung zum Beispiel, wenn sie in einem der Läden, denen sie

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