Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Dresden lag. Wir stiegen in die Busse, fuhren weiter und legten kurz vor der Grenze einen Stopp ein, um die Kennzeichen umzuschrauben. Während wir herumwerkelten, fuhr uns der Schreck in die Glieder: Ecke war nicht da! Verständnislose Blicke, Aufregung. Wir löcherten Tibi: Wo hast du ihn gelassen? Wie konntest du nicht bemerken, dass er nicht mit im Bus saß? Tibi meinte kleinlaut, er hätte angenommen, Ecke säße bei uns im Bus.
Also was tun? Mit jeder Verzögerung geriet das Konzert in Dresden mehr in Gefahr. László erklärte sich bereit zurückzufahren. Nur: Wenn Ecke nicht an unserem Pinkelparkplatz stehen geblieben war – in welche Richtung würde er gelaufen sein? László und Tibi waren sicher, dass Ecke nichts von der Entscheidung für Bad Schandau mitbekommen hatte.
Tja, was macht einer, der im Wald vergessen wird, in karierten Hauspuschen, ohne Geld und Papiere? Gerade noch beim Pinkeln, dann panisch aufgeschreckt, als er bemerkt: Die fahren los! Das kann doch nur ein Witz sein! Er rennt verzweifelt hinter dem Bus her, kann sich sogar an ihm anhängen, springt dann aber wieder ab, weil es ihm doch zu gefährlich wird – und sieht, wie die Rücklichter immer kleiner werden. Dann steht er da in der Abenddämmerung ohne Jacke, ohne Quartier, allein auf weiter Flur. Ecke erzählte uns hinterher, dass er etwas orientierungslos die Straße entlanggelaufen sei, wo ihn eine Polizeistreife aufgriff und schließlich zur Grenze chauffierte – zum Glück zum Übergang Bad Schandau, wo ihn László schließlich entdeckte. Ein gutes Ende nahm die Sache trotzdem nicht, denn das Konzert musste ausfallen. Die beiden kamen viel zu spät in Dresden an, und ohne Ecke am Bass spielte sich unsere Musik schlecht. Ohne László wäre es auch nicht gegangen, denn er bediente das Licht. Was lernen wir daraus? Nicht immer funktioniert es so wie geplant, die »Unbekannten« sind zu vielfältig, sie lauern überall, selbst beim Pinkeln im Wald!
Ein paar Jahre später, im Sommer 1978, kam ich wieder nach Rumänien, diesmal mit meiner neuen, der zweiten Band. Wir waren inzwischen erfahrene Musikreisende geworden und wussten, was uns erwartete. Die Städte kannten wir bereits, auch wenn die Spielstätten andere waren. Wegen der großen Nachfrage traten wir diesmal vor allem in Sporthallen auf. Wir wurden noch zuvorkommender aufgenommen, wie internationale Stars, wohnten in den besten Hotels und dort in den Suiten. Die Situation in Rumänien aber war deutlich angespannter. Der Personenkult und planerische Irrsinn des Alleinherrschers Nicolae Ceau ş escu hatten zugenommen. Genau im Jahr unseres Besuchs hatte der stellvertretende Leiter der Geheimpolizei, Ion Mihai Pacepa, das Land verlassen und war in die USA geflüchtet. Dort hatte er die Zusammenarbeit der kommunistischen Partei mit Terrororganisationen und Drogenbossen offengelegt. Ceau ş escu gründete daraufhin die »Securitate«, um jede Opposition im Keim zu ersticken. Eine politische Isolierung war die Folge, die in den Jahren darauf noch zunahm, und auch die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. Bizarre Pläne, etwa ein Landreformprogramm, durch das achttausend Dörfer zerstört werden sollten, machten hinter vorgehaltener Hand die Runde. Bange Vorahnungen und Angst lähmten die Menschen im Land.
Wir absolvierten neun Auftritte vor einem Publikum, das unsere Musik dankbar aufnahm. Die Abwechslung tat gut. Nun fehlte noch ein Konzert, der Abschlussabend in Bukarest. Dafür war das »Teatrul Clasic«, das klassische Theater Ioan Slavici gemietet worden. Die Staatsführung hatte unseren Erfolg im Lauf der Zeit wahrgenommen. Ich ging davon aus, dass auch dieses letzte Konzert in einem Kunsthaus der Extraklasse so gut wie gewohnt funktionieren würde. Leider hatten wir nicht bedacht, dass wir nun mal Rockmusik machten und dass elektronisch verstärkte Instrumente zur vollen Wirkung auch eine gewisse Lautstärke brauchen, aber in diesem klassischen Theater herrschten dafür nicht gerade die besten Voraussetzungen. Wir stießen auf unerwartete Schwierigkeiten. Zu unserer Band gehörte inzwischen ein zweiter Pianist, der Komponist Thomas Natschinski, auf den ich später noch genauer eingehen werde. Er spielte auf einem hochmodernen elektronischen Piano von Yamaha und unterstützte mich bei der Gesangsbegleitung. Christian Pittius, der andere Pianist, kümmerte sich um das Fender Rhodes (ein weiteres E-Piano) mit dem er die Keyboardsounds bediente. Bevor ein Konzert
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