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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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merkwürdigen Bus ins Krankenhaus. Es befand sich außerhalb Astrachans mitten auf einem Friedhof. Wie praktisch.
    Bei der Ankunft heulten wilde Hunde in der Dunkelheit, ich dachte an Wölfe. Eigentlich war mir in meinem Zustand aber alles egal, nur Ruhe wollte ich haben. Ich wurde an einen Tropf gehängt, vermutlich mit einer Kochsalzlösung wegen des Flüssigkeitsverlustes. Der Tropf funktionierte nicht regelmäßig, die Schwestern hatten Probleme damit, ihn in einen normalen Rhythmus zu bringen. Mein Schwager Volker, der Arzt ist, sagte hinterher, das sei heute gar nicht mehr üblich und gefährlich.
    Wegen sehr vieler Ruhrfälle waren alle Betten auf der Isolierstation belegt. Also wurde ich im Gang zwischen den Betten auf einer flachen Liege knapp über dem Fußboden abgelegt. Mir fiel noch auf, wie schwierig das Liegen war – so unter Beinen, die mir ins Gesicht hingen, dicken, dünnen, alten und jungen, alles war dabei.
    Eine beschwerliche Nacht stand mir bevor.
    Die Liege war kaum zum Ausruhen geeignet mit ihrer tiefen Kuhle in der Mitte, in der ich durchhing und mit dem Rücken den Fußboden spürte.
    Ich dachte: Es könnte deine letzte Nacht sein. Wenn du stirbst, geht das ganz leicht und ist nicht tragisch. Es ist eine Krankheit, durch die man schnell verschwindet.
    Aber dann gab es doch einen nächsten Tag. Der Waschraum auf der Isolierstation, weiß gekachelt und praktisch bestückt mit Waschbecken, Toilette, Badewanne. Der Tisch im Waschraum, an dem wir unser Frühstück bekamen. Die anderen Patientinnen, meist gut genährte Frauen von kräftiger Statur, wir alle in weißen Krankenhaushemdchen. Es gab Hirsebrei ohne Gewürze, die Darmflora musste sich ja wieder erholen. Die »Mädels« um mich herum redeten auf mich ein, ich müsse essen, ich sei zu dünn. Es war ein herzlich gut gemeinter Rat, aber ich brachte den Hirsebrei nicht runter, warf heimlich das Zeug in die Toilette und hungerte lieber.
    Kurz darauf bekam ich ein Einzelzimmer, sogar mit Fernseher. Vermutlich hatte es Anweisung gegeben, mich gut zu versorgen. Ein Zimmer für Sonderfälle, nehme ich an.
    Ich wurde sorgfältig untersucht. Das heißt, ich musste auf einen Tisch klettern und fühlte mich wie ein Hund, eine gewöhnungsbedürftige Prozedur. Man lernt Demut und spürt, wie endlich das Leben ist.
    Ärztinnen und Schwestern waren alle sehr nett und bemüht.
    Am ersten Tag kamen meine Kollegen noch einmal vorbei, um sich vor ihrem Rückflug von mir zu verabschieden. Sie hatten keinen Grund mehr, länger in der Sowjetunion zu bleiben, die letzten Konzerte fielen natürlich aus. Trotzdem war es ihnen nicht geheuer, mich dort in der Pampa zurückzulassen.
    Auch László kam vorbei. Er brachte mir ein Glas Kaviar und ein paar Äpfel. Zum ersten Mal sah ich ihn weinen, er machte sich Sorgen, ob ich es packen würde. Offenbar sah ich sehr schwach aus, so kannte er mich gar nicht.
    Er musste noch ein paar Tage in Moskau bleiben, um logistische Fragen zu lösen, denn auch die Technik sollte ja zurück in die Heimat. Von Moskau aus wollte er sich oft bei mir melden, so verabschiedete er sich.
    Ich ging in mein Zimmer und versteckte als Erstes den guten echten Kaviar aus Astrachan, von dem László wusste, wie sehr ich ihn mochte.
    Mir fiel ein, wie mein Vater von seinen Wochen im Lazarett in Russland erzählt hatte. Er lag mit Typhus und bekam eines Tages Besuch von seinem alten Klassenlehrer aus Wölfis. Der hatte erfahren, dass sein ehemaliger Schüler Oskar Fischer 50 Kilometer entfernt schwer krank um sein Leben rang, und sich deshalb entschlossen, die lange Strecke durch das winterliche Russland zu Fuß zu gehen, um ihn zu besuchen. Keine Imbissbuden unterwegs, kein Hotel, Eiseskälte. Eine kleine Orange brachte Herr Stichling meinem kranken Vater mit, die geriet nie in Vergessenheit
    Kraftlos lag ich in meinem Bett. Der Oberarzt kam und hielt mir einen Vortrag, von dem ich nichts verstand, außer dass ich wenigstens eine Woche bleiben musste.
    Ich war einsam und verlassen.
    Morgens gegen sechs Uhr wurde mein Zimmer mit Desinfektionsmittel gereinigt. Das stank wie die Pest, da überlebte nichts, was schädlich sein konnte.
    Jeden Tag kamen zwei sehr junge Schwesternschülerinnen zu mir ans Bett, hakten sich unter, strahlten mich freundlich an und sangen mir schunkelnd russische Lieder vor. Es war rührend, wie sie mich in meiner Einsamkeit in der Fremde aufmuntern wollten.
    Meine behandelnde Ärztin brachte mir Äpfel vorbei, ich war

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