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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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überrascht – was für eine freundliche Geste! Zum Brot, das ich zum Frühstück bekam, aß ich heimlich Kaviar. Natürlich hätte ich Diät einhalten müssen, ich war leichtsinnig, aber Gott sei Dank wurde ich trotzdem gesund.
    Wenn ich so in meinem Bett lag, sah ich manchmal aus Langeweile Fernsehen. Da kamen oft Zeichentrickfilme über den Zweiten Weltkrieg mit einer sehr einfachen Botschaft: Der Deutsche war das Schwein und der Russe der Held. Darüber musste man sich natürlich nicht wundern. Zum Glück war ich »das Kind«, aus einer anderen Zeit.
    Als ich da so lag und mich langsam wieder erholte – abends heulten die streunenden Hunde, ums Haus herum die Gräber, eine wirklich trostlose, hoffnungslose Gegend –, überkamen mich manchmal Ängste, diesen Ort nie wieder verlassen zu können. Ich sah meinen Vater, damals ebenso jung wie ich jetzt. Wie schnell war man in diesem großen Land verloren und vergessen. Wie er sich durchschlagen musste – beim Rückzug hatte er den Anschluss an seine Kolonne verpasst. Er versteckte sich im eiskalten Winter in einem Graben, versprach Gott, ihn nie mehr enttäuschen zu wollen, hörte im Hintergrund den russischen »Feind« und vor sich plötzlich das bekannte Geräusch eines deutschen Motorrads. Der deutsche Fahrer winkte ihm wortlos zu aufzuspringen. Er wisse bis heute nicht, wer ihm das Leben rettete, hatte er uns erzählt.
    Doch, das betonte er immer wieder, auch die einfachen russischen Menschen stünden ihm seit jener Zeit nah.
    Viel später erfuhren wir, dass er in Russland eine große Liebe hinterließ, ihr Bild fand man nach seinem Tod in seiner Brieftasche. Sie hatte eine kleine Tochter, eine Witwe vielleicht.
    Auch ich wurde nicht vergessen. Es kam Besuch von der ortsansässigen Künstleragentur. Man drückte mir ein Flugticket in die Hand und erklärte, ich würde von einem Ehepaar abgeholt werden, nach Moskau fliegen, dort eine Nacht im Hotel verbringen und am nächsten Tag dann nach Hause reisen. Wunderbar, Hoffnung lag in der Luft. Ich wurde abermals untersucht, der Ärztin war es nicht wirklich recht, mich entlassen zu müssen, eine Woche war ihr zu wenig, aber sie willigte ein. Ja, ich war noch schwach auf den Beinen, doch die Aussicht auf den Heimflug gab mir Kraft, ich raffte mich auf.
    Es war so weit. Ein alter Wolga stand vor dem Haus. Ich verabschiedete mich von allen freundlichen Helfern und saß endlich im Auto. Ich fuhr durch Straßen, die ich noch nie gesehen hatte. Hatte ich etwas mit den Augen? Irgendwie sahen die Häuser krumm und schief aus. Sie lagen schräg aneinandergelehnt und hielten sich gegenseitig fest. Davor standen junge russische Frauen in traditioneller Kleidung mit eingewickelten Säuglingen, die sie schaukelten. Ich war verwundert, die Häuser schienen deshalb so schief, weil die Frauen davor so gerade standen.
    Das war mein letzter Eindruck von Astrachan.
    Am Flughafen Narimanowo bestieg ich eine Maschine nach Moskau. Im Flugzeug saßen Mütterchen mit Hühnern im Käfig neben mir. Auch in Bussen war uns das schon begegnet. Vielleicht war es üblich, als Geschenk ein lebendes Huhn mitzubringen? Auf alle Fälle war die Suppe dann frischer.
    Noch etwas fiel mir auf: Unter dem Teppich zu meinen Füßen entdeckte ich ein Loch, groß wie ein Ei. Der Teppich flatterte, was das Zeug hielt.
    Nur eine Inlandsmaschine, kein Grund zur Aufregung.
    Meine Nerven lagen blank. Ich wollte bitte ankommen in Moskau, nicht vom Himmel fallen.
    Und ich kam an. Jetzt musste ich im Taxi zum Hotel. Das war nicht einfach, denn ich war nicht gesund und in meiner Schwäche störte mich eins besonders: schlechte Gerüche. Davon wurde mir übel. Und der Geruch in allen Verkehrsmitteln, egal ob Flugzeug, Bus oder Taxi, war immer muffig. Es roch wie damals in der Kindheit bei den Treffen der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft in der russischen Kaserne nah bei unserem Dorf.
    Noch war ich sehr wacklig auf den Beinen. Essbares war nicht aufzutreiben.
    Ich überstand den Tag.
    Am nächsten Morgen fuhr ich rechtzeitig zum Flughafen. Das Flugzeug hatte Verspätung, es gab keine weitere Information, wir saßen da und warteten wie Vergessene. Selbst am Flughafen bekam man nichts Essbares.
    In diesem Moment mochte ich das Land nicht mehr, es ging mir endgültig auf die Nerven!
    Nach acht Stunden durften wir schließlich einsteigen.
    Endlich, endlich kam ich in Berlin an. Ich hatte fünf Kilo in einer Woche abgenommen, das war dann doch zu wenig Gewicht für meine

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