Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
Vom Netzwerk:
sie der anderen in der Tür zu, »jetzt komm nur rein«.
    »Wollen wir uns einen Garten holen hier in der Stadt?«, fragt sie Benjamin, als sie ihn aus dem Bettchen hebt und mit einem Kuss begrüßt. Er ist zu schlaftrunken, um schon etwas zu verstehen.
    Wir brauchen hier einen Garten. Mit Beeten, Bäumen und Wasser, beschließt sie. Erde unter den Füßen, wie ganz am Anfang.

    Neubeginn im Westen
    Mein Erfolg in der DDR ebnete mir den Weg zu einem Künstlervertrag bei der WEA, dem Konzern Warner Brothers. László hatte indirekt die Vorarbeit dazu geleistet und in Westberlin einen guten Kontakt zu Gerhard Kämpfe aufgebaut, der dann wiederum den Vertrag zuwege brachte. Neben Kämpfe, der mit meinem Weggang aus Ostberlin mein Manager geworden war, kam Jürgen Otterstein als Promotionagent dazu. Ich hatte Glück – solche Verträge, bei denen man langfristig regelmäßige Vorauszahlungen erhält, gibt es heute kaum mehr. Nur selten noch wird ein Künstler von seiner Plattenfirma über einen Zyklus von mehreren Jahren hinweg aufgebaut.
    Damals war ich durch diesen Künstlervertrag mit meiner kleinen Familie sozial abgesichert und konnte mich beruflich umschauen und einarbeiten. Die Bedingungen im Westen waren mir allerdings neu. Ich musste feststellen, dass Musik dort grundsätzlich als ein Konsumartikel neben vielen anderen betrachtet wurde, woran sich bis heute nichts geändert hat. Musik wird auf den Markt geworfen in Form von Marken. Jeder Künstler ist quasi eine Marmeladensorte, die Marmelade hat er selbst erzeugt, aber damit hat er sich auch für diese eine Sorte entschieden, die er von jetzt an »darstellen« muss. Ob er sich qualitätsmäßig weiterentwickelt, sich verbessern oder verändern will, darauf wird keine Rücksicht genommen. Anders gesagt: Es ist ein sehr hoher Kraftaufwand nötig, solch eine Abweichung vom »Markenwert« gegen den Markt durchzusetzen. Man braucht dazu Selbstgewissheit und im Ernstfall auch die Bereitschaft, auf ein materiell angenehmes Leben zu verzichten.
    Damit fingen die Probleme für mich an. Ich liebte mehrere Sorten Marmelade, konnte sie alle gut »erzeugen« und mochte mich nicht für einen Topf entscheiden. In diesem Punkt war man in meiner Heimat doch etwas freier, die Zuordnung zu einem künstlerischen Teilbereich war musikalisch weniger starr gewesen (das galt natürlich nicht für die Texte, die sich nicht zu weit von dem entfernen durften, was die Ideologie erlaubte).
    »Frau Fischer, Ihre bisherige künstlerische Arbeit ist Schnee von gestern«, sagte ein Artist-&-Repertoire-Mitarbeiter der WEA zu mir, der dachte, die erfolgreiche Musik meiner Vergangenheit würde im Westen kein Schwein interessieren. Er wusste nicht recht, was er mit mir anfangen sollte, ich war für ihn jemand vom anderen Stern. Ich war mir nicht sicher, ob diese opportunistischen Zyniker letztlich harmloser oder nicht doch verheerender für ein kreatives Klima waren als die Politideologen des DDR-Kulturbetriebs. Ich musste mich irgendwie damit arrangieren und tat mich herzlich schwer damit. Der Typ hatte wie die meisten A&R-Leute, die ich kennengelernt habe (ein ausbildungsfreier Beruf übrigens wie Finanzbroker, den sich jeder anmaßen kann, dessen Ego nur raumgreifend genug dafür ist), natürlich unrecht mit seiner ignoranten Bemerkung: Gerade den »Schnee von gestern«, beispielsweise »…dass ich eine Schneeflocke wär«, singe ich heute noch, und meine alten Lieder werden nach wie vor geliebt.
    Jetzt merkte ich besonders deutlich, dass Kreativität eine Seele braucht, damit sie beim Hörer etwas hinterlässt. Unter den neuen Umständen zog sich meine Seele allerdings erst einmal zurück. Künstlerisch wog ich eine Weile einundzwanzig Gramm weniger. Ich war ratlos. Wer war ich, und was machte ich hier?
    Die WEA, allen voran der Boss der deutschen Sektion, Siggi Loch, wollte aus mir einen »gesamtdeutschen Star« machen. Es war nicht leicht, mit Siggi darüber zu sprechen, dass das im Grunde schwierig war. Er verstand gar nicht, dass ich in Ostdeutschland für bestimmte Menschen inzwischen als Verräterin galt. Den DDR-Behörden war nun an meinem Nichterfolg gelegen, und meine Präsenz in den Medien ärgerte sie. Viel lieber wäre es ihnen gewesen, ich wäre im Westen unter einer Brücke gelandet. Das hätte man politisch ausschlachten können: Seht her, das ist die Diktatur des Geldes im kapitalistischen Ausland. Wobei sie regelmäßig unterschlugen, dass auch in der DDR das Geld, sprich

Weitere Kostenlose Bücher