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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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die harte Westwährung, für die kulturpolitischen Entscheidungen maßgebend geworden war.
    In den Westmedien war ich nun ein Thema, nicht zuletzt durch die Aktivitäten meiner Firma, es sollten schließlich Platten verkauft werden. Ich gab also viele Interviews, denn natürlich brauchte ich die Öffentlichkeit, um mich als Sängerin neu zu etablieren. Die meisten meiner Gesprächspartner hofften, ich würde mich vehement gegen meine Heimat aussprechen, von Unterdrückung reden und die katastrophalen Zuständen in der DDR anprangern. Solche Statements hätten die Interviews aufgewertet, große Aufmerksamkeit gebracht und die Kasse klingeln lassen. Für sie war es enttäuschend, dass ich nicht gegen die DDR schießen wollte – meine Familie lebte nach wie vor dort, und künstlerisch-musikalisch war ich viele Jahre lang unterstützt worden. Ich wollte nicht gegen meine alte Heimat zu Felde ziehen, sondern einzig und allein diesen für mich neuen Teil Deutschlands erobern und hier erfolgreich Musik machen. Ich hatte nicht erwartet, dass ich im Westen ebenfalls als politisches Fallbeispiel dienen sollte. Siegfried Wagner, der stellvertretende Kulturminister der DDR, hatte mir genau das vorausgesagt: »Sie sind ein Politikum«, hatte er mich kurz vor meinem Weggang gewarnt. Ich hatte es nicht glauben wollen, aber er behielt recht.
    Ich erkannte, dass in der freien Marktwirtschaft alle Register gezogen werden, um das Interesse der Öffentlichkeit zu erregen. Man muss erlittenes Unrecht erfinden, wenn es verkaufsträchtig ist. Ich gewöhnte mich daran, hielt mich aber fern davon. Allmählich lernte ich jedoch auch, mich öffentlich auszudrücken – der Maulkorb fiel von mir ab. Mehrere alte Freunde bemerkten beim Wiedersehen nach dem Mauerfall: »Du kannst plötzlich so gut reden…«

    Wir richteten uns langsam ein im Wedding in der Schönwalder Straße, in der kleinen Zweizimmerwohnung, die wir direkt neben unseren Bekannten bezogen hatten. Nach vier Monaten Pendelei und all dem folgenden Spektakel kam ich dort etwas zur Ruhe, zumindest im Alltag stellte sich eine gewisse Normalität ein. Für Benjamin muss die unruhige Zeit vorher anstrengend gewesen sein, die vielen Umzüge und neuen Eindrücke. Nun hatten wir endlich ein »eigenes kleines Heim«, einen Ausgangspunkt für unsere neuen Eroberungen.
    Im Stock über uns hatte sich Großmutter Ibolya eingerichtet. Trotz ihrer anfänglichen Begeisterung für den Neuanfang tat sie sich inzwischen schwer. Sie versuchte, ihre Strickwaren in Wollgeschäften anzubieten, doch gab es hier mehr Angebote als in Ungarn bei geringerer Nachfrage. Sie litt unter den dürftigen Verdienstmöglichkeiten und unter der sprachlichen Barriere. Aus Mitgefühl mit ihrer Einsamkeit lernte ich ihre Sprache immer besser. Sie holte sich keinerlei finanzielle Unterstützung vom Staat, bekam ihr Leben auch so in den Griff, bescheiden und bewundernswert. Und sie war da, wenn ich sie brauchte, kümmerte sich jederzeit um den Enkel. Mit der Zeit wuchs aber ihre Sehnsucht nach der Heimat. Drei Jahre später kehrte sie dorthin zurück. Es war besser für sie, sie hätte sich niemals eingelebt als Ungarin fortgeschrittenen Alters.
    Ich war vorerst die Einzige, die unserer Kleinfamilie finanziell etwas Sicherheit bieten konnte.
    Die erste Plattenproduktion im Westen stand an. Ich nahm Kontakt zu Franz auf, was mir nicht leichtfiel, und fragte ihn, ob er sich vorstellen könne, wieder mit mir zu arbeiten. Er hatte inzwischen ganz gut Fuß gefasst und komponierte für Roland Kaiser und andere Westkünstler. Zu meiner Überraschung willigte er ein. Der kompositorische Part für die neue Produktion war damit geklärt, jetzt fehlte noch ein Texter. Ich kannte nur wenige in der Altbundesrepublik, hatte mich weder um Textkünstler noch um eine für mich passende Art der Sprache im neuen Land gekümmert. Hätte ich ahnen können, dass ich jemals hier arbeiten würde? Aber »die Firma« half!
    Das Rezept der WEA war einfach: Man nehme die erfolgreichsten Texter der BRD und beauftrage sie, für den »Act«, also mich, draufloszuschreiben. Dann alles in einen Topf und gut umrühren, fertig wäre der perfekte Mix für die Musik.
    Gesagt, getan. Franz lieferte seine Kompositionen an die WEA, die den Ball an die damals spitzenplazierten Bernd Meinunger und Michael Kunze weiterspielte. Eine Arbeitsform, die mir absolut neu war – die Sängerin entwickelt ihr Lied nicht mit, sie intoniert es einfach. Ich war weder an der

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