Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Transit nach Berlin. Ich machte das nicht gern, aber vier Personen in einem Bus war preiswerter als mit dem Flieger, also schluckte ich die Kröte. Beim Grenzübergang gab es natürlich wieder Registrierung und Aufenthalt. Ich gewöhnte mich daran. Außerdem dachte ich, sie würden langsam das Interesse an mir verlieren, was sich dann ja als Irrtum herausstellte.
Eine neue CD, in der Zwischenzeit die dritte im Westteil, stand auf dem Plan. Ich hatte bereits eine Band gegründet mit guten Leuten aus Westberlin wie Hans Dieter Lorenz am Bass, Lutz Halfter am Schlagzeug, Ingo Bischof Piano und an der Gitarre Joe Albrecht. Aber um live spielen zu dürfen, mussten Plattenerfolge her, und dazu war wieder einmal Studioarbeit gefordert.
Nachts träumte ich von Autobahnen, fuhr endlos lange Straßen mit entgegenkommendem Verkehr entlang. Ich war in Unruhe, wollte wieder auf die Bühne, nicht immer nur ins Studio. Die CD Unendlich weit , die 1982 auf den Markt kam, schien mir ein Beginn, aber das Repertoire war überschaubar und genügte nicht für ein abendfüllendes Programm. Die Zusammenarbeit mit Christoph Busse war anfangs inspirierend gewesen, aber es genügte mir nicht. Also hielt ich weiter Ausschau nach Impulsgebern.
Bei der nächsten CD – Sehnsucht nach Wärme – würde Achim Oppermann produzieren, WEA war einverstanden und wollte die Veröffentlichung der neuen Songs durch eine Livetour unterstützen. Nun ging es darum, Texter und Komponisten für das Projekt zu gewinnen. In Berlin schaute ich mich in der Künstlerszene um. Schon bald nach meiner Ankunft im Westteil hatte mich ein aufgeschlossener Journalist vom Tip -Stadtmagazin interviewt, und ich hatte ihn nach Textern gefragt. Er empfahl mir Jörg Fauser, einen Schriftsteller und Wegbereiter der Undergroundliteratur in Deutschland. Die erste Begegnung mit Jörg fand im Wedding statt und war gewöhnungsbedürftig, denn er war bereits alkoholisiert. Er sagte: »Ich schreib dir die Texte, du machst den Blues.« Ganz vage erinnerte mich das an den ersten Satz zu Beginn einer anderen, langfristigen Zusammenarbeit …
Jörg Fauser wollte nur gelegentlich für andere schreiben und tat es, außer für mich, nur noch für Achim Reichelt. Ich fühlte mich geehrt, denn inzwischen hatte ich mich über ihn informiert. Er wusste mich und meine Arbeit ebenfalls gut einzuschätzen, und seine unvoreingenommene Einstellung zu Menschen aus dem anderen Halbstaat gefiel mir. Hauptsächlich arbeitete er als Schriftsteller und Journalist. Er wollte immer erst die Texte vorlegen, dann sollte die Musik dazu entstehen – darauf bestand er, das war seine Art. Kein leichtes Unterfangen, denn Gedichte und wortgewaltige Texte sind nicht leicht umsetzbar. Aber ich wagte das Experiment.
Jörg und ich zogen also gemeinsam durchs nächtliche Berlin, vorzugsweise Kreuzberg, um uns besser kennenzulernen. Ich wollte mehr über Westberlin wissen, Jörg mehr über mich. Er hörte zu, nahm alles, was ich aus meiner politisch und privat zerrissenen Zeit erzählte, aufmerksam auf. Es kam mehr als einmal vor, dass ich schon am nächsten Tag Texte von ihm im Briefkasten fand, zum Beispiel »Die Fremde« oder »Die Blumenverkäuferin«. Überraschend, aber Jörg war ein Nachtmensch. Immer mehr schöne Verse kamen dazu. An sein Gedicht »Die Fremde« wagte ich mich erst 1987. Ich wusste, dass ich diesen großartigen Text eines Tages singen würde.
Jörg schrieb nicht nur, er redete mir auch zu, selbst mehr zu komponieren. Das traute ich mich selten, ich hatte ja die besten Komponisten. Ideen hatte ich sicher genug, aber ich denke, dass man seine Grenzen erkennen und jeder das tun sollte, was er am besten kann. Von Jörg ermuntert und unterstützt, entstand mit der »Blumenverkäuferin« seit Längerem mal wieder eine eigene Komposition. So etwas blieb jedoch eher die Ausnahme, der Gesang war und ist mein Hauptfach.
Kleine Zwischenbemerkung: Etwas anderes ist, was die freie Marktwirtschaft uns nahelegt, dass nämlich jeder sich selbst der Nächste sei und man ruhig mal für die eigenen finanziellen Vorteile ein paar Falschangaben machen oder den eigenen Namen unter etwas setzen kann, das man gar nicht erarbeitet hat. Ich will nicht aus dem Nähkästchen plaudern (keine Lust auf lange Gerichtsverfahren), aber ich weiß, dass bekannte Promis ihre Namen durchaus einmal unter Kompositionen setzen können, an denen sie keine Note mitkomponiert haben – einfach um besser dazustehen und zu kassieren.
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