Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Die Unbekannteren, die die Arbeit leisteten, werden dabei unter Druck gesetzt: Akzeptiere, oder du bist draußen mit deiner Musik.
Damals kannte ich solche Praktiken noch nicht – was war ich doch trotz allem wunderbar naiv.
In den folgenden Jahren arbeitete ich intensiv mit Jörg. Für mein fünftes Westalbum mit dem Titel Veronika Fischer schrieb er »Diese Nacht noch« und die beiden schon erwähnten Texte zu »Wind und Asche« und »Der letzte Sommer«. Dies ist einer meiner Lieblingstexte, den ich als Sängerin auf eine Komposition von Rainer Husel aufbaute, einem begabten Komponisten aus Marburg.
1985 zog Jörg von Berlin nach München; zwei Jahre später kam er am Tag nach seinem dreiundvierzigsten Geburtstag bei einem tragischen Unfall ums Leben. Ein Schock für mich und ein großer Verlust, auch für die Literaturlandschaft in Deutschland.
Sehnsucht nach Wärme und ein Auftritt im Knast
Eines Tages rief mich Gerd Kämpfe, mit dem ich gelegentlich noch Kontakt hatte, überraschend an und erzählte mir, dass Alfred Biolek in seiner Sendung Bio’s Bahnhof eine Wette verloren habe und deshalb in der Justizvollzugsanstalt Moabit auftreten müsse, wofür er weitere Unterhalter brauche. Ob ich nicht neben Karl Dall da mitmachen wolle. Sozusagen eine Benefizveranstaltung, aber vielleicht würde es ja Spaß bringen. Und vielleicht würde sich daraus sogar die Möglichkeit ergeben, einmal in Bio’s Bahnhof vorbeizuschauen.
So richtig passend fühlte ich mich nicht, mit Spaßvogel Karl Dall und Alfred Biolek zusammen Knastbrüder zu unterhalten. Was ich singen wollte, weiß ich nicht mehr genau, mein Westrepertoire mit eigener Musik war ja noch übersichtlich. Ich glaube, »Wir beide gegen den Wind«, »Wo sind die schönen Spiele hin« und »Halleluja, ich bleibe, wie ich war«. Allesamt in ihrer Aussage eher fragwürdig für dieses Auditorium. Was sollten die harten oder eher armen Jungs, die da einsaßen, mit »Halleluja, ich bleibe, wie ich war« anfangen? Aber ich hatte zugesagt, kneifen ging nicht mehr. Ich war ja wieder auf Entdeckungsreise, und dieser Auftritt fand nicht unter den Argusaugen der Öffentlichkeit statt. Ich hatte also Narrenfreiheit – was eigentlich nicht meiner Einstellung entspricht, denn entweder mache ich etwas richtig oder gar nicht. Doch stimmt es nicht auch, dass es ohne Kompromisse keine Erfolge gibt?
In dieser Branche findet sich wohl für jede Haltung ein entsprechender kluger Leitsatz…
Wir betraten die Haftanstalt. Sie erinnerte mich vage an die Keibelstraße, an die Stasi-Verhöre. Tausend Kontrollen, dahinter weitere Absperrungen und Verschlüsse, zum Glück wusste ich, dass ich bald wieder draußen sein würde. Wir kamen in einen größeren Raum mit kleiner Bühne und Garderobe daneben. Alfred Biolek und Karl Dall entpuppten sich als freundliche Kollegen.
Alfred begrüßte das Publikum aus Häftlingen und stimmte sie auf uns ein. Karl Dall machte seine Späße, ich sang meine Lieder, Halbplayback, mit Livegesang und Musik vom Band, wie es üblich ist, wenn das Geld fehlt oder auf der Bühne nicht genug Platz ist. Ich mag diese Variante nicht, sie hat etwas Künstliches; für mich beginnt Musik erst zu leben, wenn sie live gespielt wird. Hier war es völlig egal, ob ich sang oder nicht, ich hätte mich auch nur hinstellen und ein paarmal auf und ab gehen können, das hätte völlig genügt. Die Jungs hatten schon länger keine Frau mehr gesehen, die Luft war aufgeladen mit männlicher Energie. Ich fühlte mich quasi nackt, sehr gewöhnungsbedürftig. Das Gefühl kannte ich aus der DDR, wenn wir manchmal Konzerte bei russischen Soldaten geben mussten oder an der Trasse, da war die Atmosphäre ähnlich knisternd und angespannt gewesen. Wie in einer Peepshow fühlt man sich da als Frau, die Musik spielt nur eine Nebenrolle. Diese besondere Begegnung, die in mir Mitleid mit den streng weggesperrten Gefangenen weckte, überstand ich, aber sie gehört nicht zu meinen schönen Erlebnissen.
Neuerdings arbeitete ich auch mit Christian Kunert, früher bei Renft, und Gerulf Pannach zusammen, der für Renft getextet hatte. Die beiden waren 1977 nach Westberlin abgeschoben worden, denn auch gute Sozialisten konnten in der DDR unbequem werden, wenn sie nicht der Ideologie entsprachen. Die beiden waren als glänzendes Gesangs- und Gitarrenduo unterwegs. Sie waren nicht freiwillig im Westen und dort auch nicht wirklich glücklich, aber sie begannen sich einzuleben. Wir produzierten
Weitere Kostenlose Bücher