Das Lustschiff
auswendig gelernt oder wie aus einem Werbeprospekt. Außerdem warst du es, die mir Mut gemacht hat, hier mein Glück zu suchen.« Andrea wurde das Gefühl nicht los, dass Lena etwas wusste. Etwas, was mit Dr. Thomas Meinhardt zusammenhing. Ging es ihr darum, dass sich ihre Wege nach der Kreuzfahrt unwillkürlich trennten? Andrea würde in ihr altes Leben zurückkehren, Dr. Meinhardt weiter zur See fahren. Aber dafür gab es doch gewiss eine Lösung.
»Ich habe mir schon Gedanken gemacht. Ich könnte zum Beispiel als Kellnerin an Bord anfangen.«
»Darum geht es doch gar nicht. Ich will dich einfach nur davor bewahren, verletzt zu werden.«
»Wieso sollte ich denn verletzt werden?« Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Sie sah Lena an der Nasenspitze an, dass sie etwas vor ihr verbarg. »Jetzt raus mit der Sprache«, forderte Andrea sie auf und legte die Gabel beiseite.
»Na schön. Du willst es ja nicht anders. Ich würde mich nicht so sehr auf den Doc versteifen.«
»Wir mögen uns. Sehr sogar. Es ist toll mit ihm. Er hat Verständnis, ist fürsorglich, und sexuell sind wir auf einer Wellenlänge.« Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Es war immer noch nicht einfach für sie, offen über solch intime Dinge zu sprechen.
»Der Doc ist auch nur ein Mann. Und an Bord gibt es viele Versuchungen.«
»Das stimmt, aber er ist nicht so einer. Er ist … auf der Suche nach was Festem.«
Lena verschluckte sich an ihrem Kaffee. Und das ungute Gefühl in Andreas Bauch verstärkte sich. »Du hast ihn mit einer anderen gesehen, oder?«
Lena wischte sich den Mund mit der Serviette ab und tupfte sie dann auf die Kaffeeflecken auf ihrer Caprihose.
»Nun sag es mir schon. Ich will es wissen.«
»Also gut, ja, ich habe ihn am Pool gesehen. Er hat eine andere geküsst. Zufrieden? Ich habe mir das nicht in aller Ausführlichkeit angeschaut, aber ich denke, du weißt, was für Dinge auf dem Lustschiff passieren.«
Andrea spürte, wie ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. »Bist du dir sicher … ich meine, sicher, dass er es war?«
»Ich werde doch wohl noch Thomas Meinhardt erkennen. Es gibt keinen Zweifel. Leider.«
Also war alles gelogen gewesen. Seine ernsten Absichten, sein Interesse an ihr. Das tat verdammt weh. Sie fühlte sich unsagbar dumm, dass sie auf diese Scharade hereingefallen war. Wie vielen Frauen hatte er genau die gleiche Geschichte erzählt? Sie wäre die Einzige für ihn, er hätte Probleme damit, andere Frauen anzusprechen, aber bei ihr war das natürlich völlig anders.
»Ich bin so dumm«, sagte Andrea mit Verachtung in der Stimme. Doch seltsamerweise galt ihre Verachtung nicht ihm, sondern sich selbst.
Lena legte ihre Hand auf ihre. »Das bist du nicht.«
»Natürlich! Wie konnte ich nur auf diese alberne Geschichte reinfallen. Der hat mir im Himmel ist Jahrmarkt erzählt, und ich hab ihm aus der Hand gefressen. Wahrscheinlich lacht er jetzt über mich.«
»Das glaube ich wirklich nicht. Er findet dich anziehend.«
»Ja, sicher. Deswegen macht er auch mit einer anderen rum.«
»Wie gesagt, ich habe mir das nicht zu Ende angeschaut. Aber ich weiß, dass er dich mag. Das habe ich in seinen Augen gesehen. Nimm es einfach als Urlaubsflirt. Eine schöne Erinnerung mit aufregenden Details.«
Es wäre wohl klug gewesen, Lenas Rat zu folgen. Aber Andrea konnte das nicht. Sie war viel zu verletzt. »Das geht nicht so einfach, Lena.«
»Und wieso nicht?«
Andrea atmete tief durch. »Weil ich mich in den Mistkerl verliebt habe.«
»Oh!«, gab Lena zurück. Mehr nicht. Aber was hätte die Freundin dazu auch sagen sollen? Andrea kam sich nur umso dümmer vor. Sie war auf den Schiffscasanova hereingefallen und hatte sich obendrein auch noch in ihn verliebt. Ein Teil von ihr hoffte sogar immer noch, dass Lena sich irrte, dass es für alles eine einfache Erklärung gab.
»Du musst ihn testen«, schlug Lena plötzlich vor.
»Testen?«
»Ganz genau. Das ist das Einzige, was dir Klarheit bringt. Klarheit darüber, ob er dich will oder nicht. Ob du nur ein Zeitvertreib für ihn bist oder ob er doch ernste Gefühle für dich hegt.«
»Und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen?«
»Da habe ich schon eine Idee. Warte noch einen Tag ab, dann legt die Sea Love an, und wir gehen an Land.«
Andrea hatte es im Reiseprospekt gelesen. Bevor die Sea Love im Hafen von New York einfuhr, machte sie noch einen Halt auf einer kleinen Insel nahe der amerikanischen
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